Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich, so schrieb Mark Twain einst. Und wenn wir heute 49 Jahre zurückspulen, sehen wir ein Jahr, das sich in bedrückender Weise auf das Jahr 2022 reimt: Dem Westen wurde 1973 abrupt der Energiehahn abgedreht, als die Ölstaaten sich weigerten, weiter zu liefern und sie ihr Öl erstmals als politische Waffe einsetzten. Ein brandgefährlicher Krieg hielt die Welt in Atem, als im Oktober 1973 Ägypten und Syrien mit Unterstützung der Sowjetunion Israel angriffen (Jom-Kippur-Krieg). Der Angriff wurde von den Israelis zurückgeschlagen, und wenig später sahen die arabischen Großmächte ihre eigenen Hauptstädte Kairo und Damaskus von israelischen Truppen bedroht. Die Inflation, angefeuert durch jahrelange lockere Geldpolitik, überbordende Staatsverschuldung und die explodierenden Energiekosten, erreichte 1973 in den Vereinigten Staaten eine Rate von 9%. In Deutschland lag sie bei 8%.
Die Börsen brachen weltweit auf brutale Weise ein, nachdem sie in den Jahren zuvor auf immer neue Höchststände geklettert waren. So hatte der Dow Jones 1973 – vor Ausbruch der Krise – noch 1052 Punkte erreicht und brach im Jahr 1974 dann bis auf 577 Punkte ein. Dies entsprach einem Verlust von über 45%.
DOW JONES 30 von 1973 bis 1983 (Quelle: Finanzen.net)
Die Anleger waren schockiert. Doch dieser Schock war erst der Anfang einer über 10 Jahre dauernden Leidensgeschichte. Denn erst im Jahre 1983 sollte der Dow Jones, wie auch die meisten anderen Börsen, ihre alten Hochs wieder erreichen. Niemand konnte 1973 voraussehen, wie lange und wie tief die Rezession werden würde, die später unter dem Namen „Stagflation“ zu unrühmlicher Bekanntheit kommen sollte, einer Kombination aus jahrelanger Stagnation und hoher Inflation. Viele Anleger lernten damals aufs Neue die Bedeutung des Wortes Risiko, welches sie in den Jahren zuvor komplett vergessen hatten, als die sogenannten Nifty-Fifty-Stocks immer neue Börsenrekorde aufstellten. Unter den Nifty-Fifty verstand man damals eine Gruppe von illustren Bluechip-Aktien, die an den Börsen gefeiert wurden und zu völlig utopischen Bewertungen gekommen waren. Jeremy Siegel hat berechnet, dass das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) dieser Gruppe von Aktien damals durchschnittlich bei 42 lag. Dazu gehörten Unternehmen wie Polaroid (damals KGV 90), Walt Disney (KGV 82) oder Coca-Cola (KGV 48). Die Parallelen zur Gruppe der FAANG-Stocks (Facebook, Amazon, Apple, Netflix, Google) sticht auch dem Nicht Börsianer ins Auge.
Der DAX fiel heute unter 12.000 Punkte und verzeichnet damit einen Verlust zu seinem Allzeithoch (16.272 Punkte) von über 25%. Diese Entwicklung wird sich aller Wahrscheinlichkeit nach noch fortsetzen. Wie lange? Niemand kann es wissen und nur Börsenschamanen geben solche Prognosen ab. Schaut man sich die historischen Parallelen an, kann ein solcher Bärenmarkt aber Jahre dauern, manchmal sehr viele Jahre. Wenn man aus der Perspektive von 1973 schaut, wäre erst im Jahre 2032 wieder Licht am Ende des Tunnels zu sehen.
Ist das ein Grund zu Pessimismus? Ist das ein Grund der Börse heute den Rücken zu kehren, wie es unzweifelhaft sehr viele bald tun werden? Ich meine nein. Ich würde sogar das genaue Gegenteil behaupten. Um noch einmal die historischen Vorbilder zu bemühen: In den Jahren zwischen 1973 und 1983 konnten Börsenanleger den Grundstein für hervorragende Erfolge legen, die sich dann im Laufe der 1980er und 1990er Jahre materialisierten. Durch den fürchterlichen Einbruch der Börsen wurde es möglich, exzellente Unternehmen zu einem Spottpreis an der Börse zu erwerben. Das einzige, was ein Investor dazu brauchte war etwas Kapital und viel Geduld. Denn Geduld ist die Kardinaltugend des langfristig orientierten Anlegers. Um noch einmal das Beispiel eines der Nifty-Fifty-Aktien zu bemühen: Die Coca-Cola-Aktie fiel zwischen März 1973 und November 1974 um 66%. Wahrscheinlich haben die meisten Coca-Cola-Aktionäre in dieser Zeit entnervt verkauft, um zu retten, was zu retten war. Doch das war rückblickend betrachtet keine vernünftige Strategie. Denn in den folgenden 20 Jahren konnte der Limonadenhersteller sich vom Vorkrisenhoch im März 1973 um 1.650% steigern, und zwar ohne die Dividenden einzurechnen. Bis heute liegt die Steigerung der Coca-Cola-Aktie seit 1973 bei mehr als 15.000%. Dies entspricht einer Wertsteigerung von durchschnittlich 11% pro Jahr. Dazu kommen noch die Dividendenausschüttungen. Natürlich ist es notwendig in einer solchen Situation, die Finger von offensichtlich unsinnigen und wertlosen Investments zu lassen. Ich denke dabei heute z.B. an Kryptowährungen oder völlig überhypte ESG-Aktien. Doch bewährte Unternehmen, die auch in der Vergangenheit schon viele Krisen überlebt haben, werden langfristig selten enttäuschen.
Jene Anleger, die in der heutigen Situation nicht in Panik verfallen, Geduld üben und sich eine langfristige Perspektive bewahren, werden dafür reich belohnt werden. Es bedarf dazu keiner überdurchschnittlichen Intelligenz oder großen Glücks. Nur gute Nerven sollte man haben.
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