Was ist eigentlich ein Ankeraktionär oder eine Ankeraktionärin? Damit bezeichnet man in der Regel den Teilhaber einer (börsennotierten) Aktiengesellschaft, der wegen seinem signifikanten Anteil an der Zahl der stimmberechtigten Aktien, einen bestimmenden Einfluss auf Aufsichtsrat und Management ausüben kann. Der Anteil muss nicht unbedingt bei 50% oder mehr liegen, um bestimmenden Einfluss zu haben. Oftmals sind auf einer Aktionärsversammlung bei weitem nicht alle stimmberechtigten Aktien anwesend und so erhält auch ein Ankeraktionär mit einer Quote unter 50% grossen Einfluss und möglicherweise sogar die absolute Mehrheit auf der Versammlung. Ich gehe daher davon aus, dass in der Regel eine Beteiligung von mindestens 25% für die Bezeichnung Ankeraktionär reichen sollte.
Gerade in Deutschland, auch in der Schweiz, gibt es eine grosse Anzahl von börsennotierten Unternehmen, die über Ankeraktionäre verfügen. Bekannt sind - unter vielen anderen - BMW (Familie Quandt), Fresenius (Else Kröner Fresenius Stiftung) oder Henkel (Familie Henkel). In der Schweiz ist die Roche Holding (Gründerfamilien) das grösste von einer gemeinsam handelnden Aktionärsgruppe kontrollierte Unternehmen. Wie schon diese wenigen Beispiele aufzeigen, sind Ankeraktionäre oft die Familie bzw. Nachfolger des Gründers, sofern dieser nicht mehr lebt oder bereits die Aktien an seine Nachfolger und Nachfolgerinnen übergeben hat. Eine zweite Beobachtung ist, dass es sich bei Ankeraktionäre oft um grössere Gruppen (z.B. Familienverbände) handelt, die in koordinierter Art und Weise handeln. Ein dritter wichtiger Punkt ist, dass häufig, aber nicht immer, die Ankeraktionäre ihre eigenen Vertreter in den Aufsichtsrat bzw. Verwaltungsrat (Schweiz) entsenden, um ihren Einfluss kontinuierlich geltend zu machen.
Wie ist der Einfluss der Ankeraktionäre auf das Geschäft eines Unternehmens und letztendlich damit auch die Performance der Aktie zu bewerten? Aus Sicht der Corporate Governance wird es nicht als positiv angesehen, wenn frühere Top-Manager oder Verwandte von amtierenden Top-Managern eine Aufsichtsfunktion innehaben, also z.B. im Aufsichtsrat sitzen. Beispielsweise wurde stark kritisiert, dass Erich Sixt, der Gründer der Sixt Gruppe, seit 2021 den Aufsichtsratsvorsitz einnimmt, nachdem er vorher das Unternehmen jahrzehntelang als CEO geführt hatte. Gleichzeitig teilen sich seine beiden Söhne seit 2021 die CEO-Rolle. Aus Sicht der Corporate-Governance-Theorie besteht hier die Gefahr von Interessenkonflikten und der Aufsichtsrat könne in solchen Konstellationen seine Aufsichtspflicht nicht optimal wahrnehmen.
Dies ist die Theorie. In der Praxis sieht es aber anders aus. Eine Langfristanalyse der 40 grössten und am längsten börsennotierten Unternehmen in Deutschland zeigt, dass der Faktor "Ankeraktionär" einen sehr starken statistischen Zusammenhang mit der langfristigen Performance einer Aktie aufweist. Unternehmen mit einem Ankeraktionär können über 30 Jahre betrachtet im Mittel eine Performance von 11,5% aufweisen, während Firmen im reinen Streubesitz lediglich eine Performance von 7,0% erzielen. Dies betrifft den Zeitraum von 1990 bis 2021. Die Renditedifferenz liegt also bei 4,5%. Dieses Ergebnis weist auch eine hohe statistische Signifikanz auf (p < 0,01), was darauf hindeutet, dass der statistische Zusammenhang mit hoher Wahrscheinlichkeit kein statistischer Zufallsbefund ist.
Eine weitere Variable, die in eine ähnliche Richtung deutet, ist der Faktor "Ehemaliger CEO im Aufsichtsrat". Auch hier zeigt, sich dass Firmen mit einem ehemaligen CEO im Aufsichtsrat besser performen. Die Renditedifferenz der beiden Gruppen von Firmen liegt im Mittelwert bei 3,7%. Die Signifikanz ist hier allerdings schwächer mit p < 0,1.
Doch was steckt hinter diesen statistischen Zusammenhängen? Eine Hypothese ist, dass sowohl Ankeraktionäre als auch ehemalige CEOs im Aufsichtsrat ein Gegengewicht zum amtierenden operativen Top-Management bilden. Denn oft fungieren Top-Manager nicht im Interesse der Aktionäre, sondern stellen ihre eigenen Interessen in den Mittelpunkt. Ein weiterer Punkt ist die oftmals vertretene Hypothese des "geduldigen Kapitals". Ankeraktionäre blicken über den Quartalshorizont hinaus und haben meist eine langfristige Perspektive, da sie eine stärkere Bindung an ihre Anteile haben (z.B. Familie, Gründer etc.). Dies erlaubt es Unternehmen, Entscheidungen zu treffen, die vielleicht kurzfristig die Profitabilität negativ beeinflussen können, aber langfristig zu dauerhaften Vorteilen führen. Man denke hier nur an kostspielige Entwicklungsprojekte oder internationale Expansion.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Das Vorhandensein von Ankeraktionäre ist historisch betrachtet ein sehr guter Indikator für eine überdurchschnittliche Performance bei deutschen Unternehmen. Der Zusammenhang lässt sich auch gut inhaltlich erklären. Eine Einschränkung ist allerdings zu machen: Der Einstieg des Staates bei einem Unternehmen (z.B. Lufthansa, Commerzbank oder VW) gilt nicht als Ankeraktionär.
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