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Automobilbranche: Chance oder Falle?

Tesla kann auf 6000 $ steigen!”, so tönt die Ark-Investment-Analystin Catherine Wood. Das wäre dann eine Steigerung um über 1000 Prozent vom heutigen Kurse bei 540 $. Auch wenn die Analystin wohlweislich einen 5-Jahres-Zeitraum für ihre Prognose gibt (am Ende dessen sich kein Mensch mehr an ihr Interview erinnern wird), so zeigt sich doch, dass der Optimismus der Investoren bezüglich Elektromobilität und vor allem Tesla ungebrochen ist. Tesla ist in aller Munde, aber kaum auf allen Strassen.  Man kann dies für Hype halten, wozu ich neige. Oder man kann es für eine faire Bewertung der erfolgreichen Disruption einer langweiligen, konservativen Branche halten. Fakt ist, dass der Marktwert von Newcomer Tesla und dem Grossteil der restlichen Autobranche inklusive Zulieferer massiv auseinander klafft. Keine andere Branche bietet dieses Schauspiel, wo alteingesessene und neue Wettbewerber so unterschiedlich bewertet werden – vielleicht mit Ausnahme des Einzelhandels.

Die Bewertungen wichtiger Automobilhersteller sind – teilweise historisch – niedrig. Der KGV auf Basis der letzten 12 Monate stellt sich wie folgt dar:

Volkswagen  6.8 Daimler          12.3 BMW               9.6 GM                   5.9 FiatChrysler  8.2

Sind die niedrigen Bewertungen im Wesentlichen der Zyklizität der Branche geschuldet? Oder bilden sie auch die befürchtete Disruption durch elektrische und selbstfahrende Fahrzeuge ab? Ist die negative Stimmung gegenüber der Fahrzeugbranche gerechtfertigt oder sehen wir hier vielleicht eine Übertreibung des negativen Sentiments?

Ganz grundsätzlich sollten wir zuerst die Frage nach dem Zyklus in der Autobranche beantworten. Was ist ein Zyklus und warum hat er negative Konsequenzen auf die Bewertung eines Unternehmens? Man könnte ja auch argumentieren, dass auf jeden Abschwung ein Aufschwung folgt, was ja der Begriff “Zyklus” impliziert. Insofern wären die starken Auf- und Abschwünge bei zyklischen Aktien nicht unbedingt rational, da ein gewiefter Player, der die ökonomischen Mechanismen versteht, grundsätzlich am Tal des Zyklus einsteigen  und dann den Aufschwung profitabel mitnehmen könnte. Eine Strategie, die bei einigen Valueinvestoren durchaus propagiert wird.

Grundsätzlich gilt, dass Fahrzeuge zu den zyklischen Konsumgütern gehören. Im Gegensatz zu Grundnahrungsmitteln, Toilettenpapier und anderen für das tägliche Leben essenziellen Gütern kann der Konsument die Investition in ein neues Auto aufschieben. In Phasen einer schwachen Konjunktur, bei erwarteter oder tatsächlicher Arbeitslosigkeit oder wenn die Reallöhne stagnieren, werden viele potenzielle Käufer ihren alten Wagen noch ein Weilchen weiterfahren und die Entscheidung für einen Neuwagen auf die entferntere Zukunft vertagen. Typischerweise “belohnen” sich übrigens Konsumenten für einen solchen Verzicht auf grössere Investitionen, in dem sie sich dann kleinere Luxuskäufe gönnen. Ein Phänomen, das dazu führt, dass z.B. Kosmetika oder Hersteller von günstigem Modeschmuck in Phasen eines konjunkturellen Abschwungs mit Umsatzzuwächsen rechnen können.

Gleichzeitig haben aber die Automobilhersteller in der guten Phase vor dem Abschwung hohe Produktionskapazitäten aufgebaut. Typischerweise sind diese Kapazitäten mit einem grossen Fixkostenblock verbunden. Der flexible und schnelle Abbau dieser Kostenblöcke ist kaum möglich. Auch zeigt es sich, dass Hersteller unterschiedliche Kostenpositionen haben. Es ergibt sich eine Kostenkurve über eine ganze Branche, die dazu führt, dass bei nachlassender Nachfrage und sinkenden Preisen manche Hersteller noch auf Vollkostenbasis profitabel produzieren, während andere Hersteller nur noch einen Teil ihrer Fixkosten decken können. Eine gute Erklärung der Kostenkurve findet sich auf dem Blog des DIY-Investor.

In der Konsequenz kommt es also zu Preissenkungen und mittelfristig  auch zu einem Abbau von Kapazität, insbesondere wenn marginale Produzenten aus dem Markt ausscheiden oder einen Teil ihrer Produktionsanlagen aufgeben. Die Lagerbestände sinken und die Industrie wird schlanker und wettbewerbsfähiger.  Und genau hier entsteht der Keim für einen neuen Aufschwung. Während die Konsumenten ihre Kaufentscheidung meist ja nur verschoben aber nicht aufgegeben haben, sinken die Preise und ab einem gewissen Punkt nimmt die Nachfrage wieder schlagartig zu. Die Amerikaner haben dafür den schönen Begriff der pent-up-demand erfunden.

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Quelle: Deutsche Bundesbank 5/2019


Die Grafik zeigt deutlich die Schwankungen im globalen Automobilmarkt, aber auch einen deutlichen, langfristigen Wachstumstrend, welcher vor allem durch die Schwellenländer und China getrieben wird.

When the p/e ratios of cyclicals are very low, it’s usually a sign that they are at the end of a prosperous interlude. (…) Buying a cyclical after several years of record earnings and when the p/e ratio has hit a low point is aproven method for losing half your money in a short period of time. (Peter Lynch, Beating the Street)

Das Investment in Zykliker ist von Erwartungen in Bezug auf das Timing geprägt. Ein niedriges KGV kann hier scheinbar günstige Einstiegsmöglichkeiten suggerieren, was sich aber schnell in Luft auflöst, wenn die Gewinne im Rahmen des Abschwungs dahinschmelzen. Insofern ist Geduld und das Warten auf den richtigen Zeitpunkt ein wesentlicher Erfolgsfaktor beim Investieren in Zykliker. Daher sollte man vorsichtig sein, was die optisch derzeit niedrigen Bewertungen betrifft. Der Rückgang der Absatzzahlen ist möglicherweise noch nicht an seinem Endpunkt.

Deutlich positiver sehe ich die angeblichen Bedrohungen durch Elektromobilität und autonomes Fahren. Beide Trends sind derzeit massiv gehyped, aber es zeigen sich in der realen Welt bisher kaum Veränderungen.Trotz massiver Subventionen liegt der Anteil bei den Neuzulassungen von reinen E-Autos in Deutschland bei 2%-3%. In anderen Ländern sieht es kaum anders aus. Der grösste EV-Markt China hat sogar einen starken Einbruch in 2019 erlebt, da die Regierung die Zuschüsse zurückfuhr. Die bestehenden technischen Probleme bei der Ladeinfrastruktur und bei der Batterielaufzeit sind noch längst nicht gelöst, so dass die Kunden kaum vom Kauf eines EV überzeugt werden können. Anderes sieht es bei den Hybridfahrzeugen aus, die Elektromobilität und Verbrennungsmotor kombinieren. Aber hier liegt die Technologiekompetenz klar bei den etablierten Herstellern.

Das Thema autonomes Fahren ist noch weiter von der Realität entfernt. Ausser einigen Feldversuchen passiert hier seit Jahren nicht viel. Es ist auch interessant, dass z.B. in der Luftfahrt oder bei Zügen führerlose Vehikel sich bisher kaum durchsetzen konnten, obwohl die Technologie seit vielen Jahren vorhanden ist. Kein Mensch will in einem pilotenlosen Flugzeug fliegen. Führerlose Bahnen findet man allenfalls mal auf einem Flughafen oder in anderen sehr kontrollierten Umgebungen.

Doch nehmen wir einmal an, dass die Elektromobilität sich plötzlich doch und sehr schnell durchsetzt. Wäre dies eine Katastrophe für die etablierten Hersteller? Wohl kaum. Etablierte Marken, Handelsnetze und Servicestützpunkte sind ein Asset, das nur schwer schnell zu imitieren ist. Wer schon einmal einen Teslakunden darüber hat jammern hören, dass es sechs Monate gedauert hat, bis ein bestimmtes, kritisches Ersatzteil geliefert wurde, weiss wovon ich spreche. Gleichzeitig bauen derzeit fast alle Automobilhersteller ihre Elektrokompetenz schnell aus. Da die Technologie relativ einfach ist, erwarte ich nicht, dass sie technisch einem Newcomer unterlegen sein werden – eher im Gegenteil.

Wenn man sich historisch die Disruption ganzer Branchen anschaut, wie z.B. stationärer Handel durch Online-Handel oder Grossrechner durch PCs, dann war es nicht einfach eine neue Techhnologie, die eine alte teilweise ersetzt hat. Sondern es wurde das gesamte Geschäftsmodell oder Ökosystem ersetzt. Amazon benötigt keine grössere fixe Infrastruktur in Form von Läden, statt dessen sind Kompetenzen im Bereich Online-Marketing und Paketlogistik gefragt. Der PC zielte auf eine ganz neue Kundengruppe, nämlich den privaten Nutzer und den Mitarbeiter vor Ort. Die alten Mainframehersteller hatten dagegen meist nur mit den IT-Abteilungen von Grosskonzernen zu tun.

Man sieht hier sehr deutlich, dass Disruption in diesem Sinne in der Automobilindustrie kaum stattfindet. Auch höhere regulatorische Hürden, was vor allem die Emission von Schadstoffen betreffen dürfte, sind kein genereller Game-Changer. Einige Marken, die einen hohen Anteil an Hybridfahrzeugen haben, wie z.B. Toyota werden sich hier leichter tun. Andere Hersteller, die vor allem im lukrativen SUV-Markt mit schweren Verbrennern aktiv sind, bekommen voraussichtlich mehr Probleme. Es wird also innerhalb der etablierten Hersteller zu Verschiebungen und unterschiedlich hohen Anpassungkosten kommen. Dass die gesamte Branche dadurch dem Untergang geweiht ist, wäre unrealistisch.

Im Fazit sehe ich mittelfristig im Automobilbereich mehr Chancen als Fallen. Der Zyklus wird möglicherweise noch eine Weile nach unten zeigen, aber die langfristigen Risiken durch Disruption erscheinen mir massiv übertrieben. Oder um nochmals Peter Lynch zu zitieren:

Unless you are a short seller or a poet looking for a wealthy spouse, it never pays to be pessimistic. (Peter’s Principle #9)

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