Wer in Einzelaktien investiert, muss selbst hinschauen und sich ein Urteil zu bilden. Wirecard zeigt, dass es nicht einmal besonders schwer ist, denn das Menetekel war längst an d
er Wand zu sehen. Ein Rückzug des vorsichtigen Anlegers daher schon vor Monaten angezeigt. Das blosse Gejammer über das Versagen von Behörden und Regulierern ist kein Ersatz für eigene Kompetenz. Die Geschichte der Börsenbetrüger zeigt: Es gibt klare Anzeichen, die unethische oder gar betrügerische Manager entlarven können.
Wie konnte Wirecard so lange den schönen Schein eines erfolgreichen Technologieunternehmens wahren? Aktionäre und Wirtschaftspresse zeigen mit dem Finger auf EY, das BaFin oder die Deutsche Börse: Bilanzprüfer und Aufsichtsbehörden hätten vollständige versagt. Und da ist sicherlich etwas Wahres dran. Statt Wirecard unter die Lupe zu nehmen, hat die BaFin in einem protektionistischen Reflex ein Leerverkaufsverbot erlassen. EY hat offensichtlich Belege über Bankguthaben in Milliardenhöhe keiner Echtheitsprüfung unterzogen. Seit vielen Monaten gab es Hinweise aus Recherchen der Financial Times, dass Wirecard in grösserem Umfang Umsätze und Transaktionen gefälscht hat. Behörden und Prüfer haben das alles viel zu lange ignoriert. Die Wirecard-Investoren waren jeweils nur kurz irritiert und die Kurse haben sich immer wieder schnell erholt.
All dies ist nicht neu. Immer wieder kommt es zu Börsenskandalen und regelmässig müssen Prüfer und Aufsichtbehördern zugeben, dass sie versagt haben. Man denke nur an Enron, Worldcom, Flowtex, Parmalat, Steinhoff und viele andere. Die Muster sind immer die gleichen: Entsetzen, Entrüstung, Ruf nach neuen Gesetzen, dann schliesslich neue Regulierungen und ein paar neue Köpfe an der Spitze der Aufsichtsbehörden. Aber aller Aktionismus scheint nichts zu nützen, denn nur wenige Jahre später kommt der nächste Skandal. Keine Bilanzvorschriften und kein Finanzaufseher kann die kriminellen Machenschaften einiger Betrüger präventiv verhindern. Ein solches System der totalen Überwachung würde massive Kosten und Beschränkungen mit sich bringen, die in der Konsequenz das ganze System freier Unternehmen ad absurdum führen.
Der ehemalige U.S–Präsident Lyndon B. Johnson, der sich seinen Weg an die Spitze immer wieder durch Manipulation und Fälschung von Wahlen bahnte, hatte schon zu seinen Zeiten als Schülersprecher an der High School die Wahlen manipuliert. Wie Robert Caro in seiner exzellenten Johnson-Biographie beschreibt, ziehen sich diese Verhaltensmuster durch die gesamte Karriere des Politikers. Doch nicht nur Politiker, auch Spitzenmanager sind anfällig. Es sind klar identifizierbare Persönlichkeitsmerkmale, die solche Manager aufweisen: Dazu gehört meist ein hohes Mass an Narzissmus, eine lange bestehende Ambiguität gegenüber allgemein geltenden Regeln und die Fähigkeit andere Personen in der direkten Umgebung zu manipulieren und zu Komplizen zu machen. Häufig ziehen sich diese Merkmale wie ein roter Faden durch die Kariere bestimmter Personen. Nur selten ist es der Fall, dass jemand “einfach in etwas hinein rutscht” und dann den Weg nicht mehr heraus findet.
Es ist letztendlich immer auch eine Frage eines unzureichenden ethischen Kompasses von Managern, die zu Skandalen führen. Dies beginnt schon im kleinen, z.B. bei Vergütungssystemen, die die Aktionäre zu Gunsten des Managements übervorteilen (siehe als Extremfall die Grossbanken vor der Finanzkrise), bei der Duldung von Korruption und Bestechlichkeit in ausländischen Märkten (siehe etwa Siemens lange Geschichte von Korruption) oder bei der Manipulation von Abgaswerten durch die Automobilindustrie (mit Wissen oder sogar Duldung der Vorstände). Solche Verfehlungen können dann monströse Dimensionen wie im Fall Wirecard oder Enron erlangen, wenn das Unrechtsbewusstsein der Manager schlichtweg nicht mehr vorhanden ist und darüber hinaus die Aufsichtsgremien versagen. Der Wunsch nach Ruhm und Reichtum wird so stark, dass Schranken für das eigene Verhalten nicht mehr gelten und schliesslich das kriminelle System so umfassend wird, dass es unmöglich ist unter Wahrung des eigenen Gesichts zurückzurudern. Es gibt keinen Ausweg mehr als entweder den eigenen Untergang zu akzeptieren oder das kriminelle Spiel immer weiter fortzusetzen.
Im Fall Wirecard führte der mutmassliche Betrug des Managements in die Insolvenz. Anleger, welche die Zeichen an der Wand zu spät sahen, verloren einen grossen Teil ihres Einsatzes. Doch meist kommt es nicht zum Totalverlust für die Anleger. Bilanzskandale, Korruptionsvorwürfe, Strafuntersuchungen oder Schadensersatzforderungen führen häufig genug zu anhaltenden Wertverlusten für die Anleger. Man denke an die grossen deutschen Banken, die bis heute in verlustreiche Prozesse und Verfahren verwickelt sind. Nicht zuletzt ist auch eine striktere Regulierung, wie man es im Bankenbereich sehr schön sehen kann, gewinn- und wertmindernd. Auch einige Unternehmen der Automobilindustrie und ihre Aktionäre werden noch lange an ihren Abgasmanipulationen zu tragen haben.
Doch muss der Anleger nun auch Psychologe sein, um ethisch einwandfreie und integre Manager zu identifizieren? Gibt es Frühwarnzeichen, die als gelbe oder rote Ampel bei Anlageentscheidungen dienen können?
Wie kann der Anleger erkennen, ob sich die Leitung eines Unternehmens tatsächlich integer verhalten? Die folgenden Indikatoren erscheinen mir dabei als Warnsignale (siehe auch meinen Beitrag “Was ist gutes Management“):
Angepasste Berichtszahlen bringen nicht mehr Transparenz sondern beschönigen die Lage. Ein Beispiel ist das Herausrechnen von so genannten Einmalaufwendungen oder auch Restrukturierungsaufwendungen. Tauchen z.B. ähnliche „Einmalaufwendungen“ Quartal für Quartal auf ist das ein nicht zu unterschätzendes Warnzeichen. Man mag hier z.B. an die Restaurantklette Vapiano denken, die Quartal für Quartal operative Gewinne kommunizierten, die von angeblich einmaligen Kosten befreit waren und die Lage der Restaurantkette massiv beschönigten. Das Ganze endete schliesslich mit dem Abgang des CEOs.
In der Bilanz versteckte Risiken werden (wiederholt) nicht transparent gemacht. Ein Beispiel sind Prozessrisiken, für die keine rechtzeitigen Rückstellungen gebildet wurden oder die nicht deutlich kommuniziert wurden. Aktuell könnte man z.B. an Bayer denken, die vor der Akquisition von Monsanto das juristische Risiko im Hinblick auf Glyphosat nicht klar genug kommuniziert haben. Als die ersten grossen Prozesse (erstinstanzlich) verloren gingen und die Zahl der Kläger auf über 10’000 anstieg, wurden entsprechende Vermerke im Quartalsbericht gemacht.
Alle weiteren, auch versteckte Formen von Bilanzkosmetik sind sehr kritisch zu sehen. Oft genug werden z.B. Umsätze voll in die Bilanz gebucht, die leistungsmässig aber noch nicht voll erbracht wurden. Kalkulatorische Zinsen werden unrealistisch angesetzt, um Verbindlichkeiten in der Bilanz niedrig zu halten (z.B. für Pensionsverpflichtungen), was dann später zu massiven Abschreibungen auf das Eigenkapital führen kann. Banken schätzen gerne die notleidenden Kredite ihrer Schuldner zu positiv ein und auch hier führen dann plötzliche Abschreiber zu unangenehmen Überraschungen. Die Zahl der Bilanztricks ist Legion und eine abschliessende Aufzählung ist kaum möglich.
Als tiefrotes Ampelsignal sind natürlich staatsanwaltliche Ermittlungen (und auch nur Gerüchte) im Hinblick auf Bilanzfälschungen zu sehen. Der Skandal um den Möbelkonzern Steinhoff zeigt sehr deutlich, dass häufig die Anwesenheit von Rauch auf ein ausgewachsenes Feuer unterm Dach schliessen lassen kann. Sicherlich gibt es Gegenbeispiele und Falschbeschuldigungen. Alles in allem sind aber staatsanwaltliche Ermittlungen ein sehr guter Indikator massiver moralischer Managementprobleme.
Plötzliche und unerwartete Kapitalerhöhungen sind ein weiterer Warnindikator. Kurzfristig auftretende Löcher im Eigenkapital, die schnell gestopft werden müssen, sind ein weiteres, ernstzunehmendes Signal.
All die aufgeführten Punkte sind nicht immer ein Zeichen mangelnder Integrität. Fehler passieren und müssen korrigiert werden. Wenn jedoch bestimmte Muster immer wieder auftreten. Wenn Berichtszahlen und angepasste Zahlen immer wieder auseinanderklaffen. Wenn plötzliche Abschreibungen häufiger auftreten und die Ausreden sich von Quartal zu Quartal ähneln, dann liegt der Verdacht auf mangelnde Integrität nahe.
Der ehemalige Grünen-Politiker Gerhard Schick, inzwischen Exponent einer selbsternannten “Bürgerbewegung Finanzwende” fordert gar vollmundig ein “komplett anderes Selbstverständnis der BaFin“. Neue Prüfungsbefugnisse, Durchgriffsrechte, Sonderprüfungen und andere Massnahmen mehr, sollen den betrügerischen Kapitalisten das Handwerk legen. Doch Schick und andere, die ins gleiche Horn stossen, verkennen, dass man keinen lückenlosen Finanzüberwachungsapparat gründen kann, ohne börsennotierte Unternehmen in einem Meer ausufernder Bürokratie zu ertränken. Sinnvoller wäre eine Stärkung der Position der Anleger und vor allem von Marktmechanismen, die zur Aufdeckung von Skandalen führen. Insbesondere Leerverkäufer oder Short-Seller sind gute Spürhunde beim Aufdecken von Bilanzbetrug. Dass die BaFin und andere Finanzregulierungsbehörden den Leerverkäufern das Leben immer wieder schwer machen – so auch bei Wirecard – ist dabei eine bittere Ironie der Geschichte. Die Einschränkung von Leerverkäufen sollte daher mit äusserster Zurückhaltung angeordnet werden und schon gar nicht aus politischen oder protektionistischen Überlegungen.
Mein Learning aus Wirecard ist, dass kein Anleger sich auf die Aufsichtsbehörden oder Bilanzprüfer verlassen sollte. Meist ist es schon früh absehbar, wenn etwas “faul” ist, gelbe und rote Ampeln sollten von einem aufmerksamen Anleger nicht einfach überfahren werden. Grosse Verluste lassen sich so langfristig vermeiden, auch wenn man kurzfristig auf Kursgewinne verzichten muss. Doch dies sollte Valueinvestoren nicht schwer fallen.
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