Vielen Value-Investoren graut es vor Bankbilanzen und Bankaktien. Nicht nur die unrühmliche Geschichte der Banken in der Krise 2008/2009 und die nachfolgenden Jahre der mühsamen Beseitigung von faulen Krediten und Hypotheken hat dazu beigetragen. Für viele von uns sind Bankbilanzen ein Buch mit sieben Siegeln, kaum vergleichbar zur GuV eines Industrieunternehmens oder einer Konsumgüterfirma. Doch ewig locken die verführerisch niedrigen KGV oder KBV von Bankaktien und alllzu oft steht man als Investor vor der Frage: Value-Falle oder echte Chance?
Doch wie kann man die Black-Box der Bankbilanzen knacken? So habe ich schon lange nach einer guten Anleitung für das Verständnis von Banken aus Investorenpersepektive gesucht. Fündig wurde ich mit dem Bank Investor’s Handbook von Nathan Tobik und Kenneth Yellen, publiziert 2017 im Selbstverlag. Damit wir uns richtig verstehen: Dieses “Handbook” ist ein Einführungsbuch. Es geht dabei um die grundlegende Mechanik von Bankbilanzen, um Kredite und Kundengelder, Zinsdifferenzgeschäft und Kommissionen. Wer sich für unendlich komplexe Investmentbanken mit einem Haufen ausserbilanzieller Posten und Beteiligungen, Hedge-Fonds und weiss der Teufel was interessiert, sollte das Buch meiden. Doch für den Anleger, der verstehen will, ob eine Regionalbank seiner Wahl ein Schnäppchen ist oder ein paar Leichen im Keller hat, ist das Buch perfekt.
Da das Buch nur auf Englisch erhältlich ist, sollte der Leser ein gewisses Sprachverständnis mitbringen. Auch der manchmal etwas eigenwillige Humor der Autoren sollte einen nicht abschrecken. Der Leser wird sehr strukturiert, Schritt für Schritt durch die Bankbilanz (wichtiger als die GuV!) geführt:
Verständnis des Kreditgeschäftes
Kundengelder (Einlagen auf Konten)
Zinseinnahmen und -kosten sowie die Zinsmarge als zentrale Variable
Einnahmen ausserhalb des Zinsgeschäftes und sonstige Kosten
Cash, Aktiva und Kapital
Zentral ist der Abschnitt über Kreditrisiko. Der Trend im Hinblick auf notleidende Kredite (“non-performing loans”) ist dabei der entscheidende Indikator: Zeigt sich hier ein Anstieg des Anteils dieser Kredite am gesamten Kreditportfolio innerhalb weniger Quartale sollten alle Warnlampen angehen. Kritisch ist auch eine Konzentration des Kreditportfolios in bestimmten (krisenanfälligen) Branchen oder in der Sparte Konsumentenkredit.
Auf der anderen Seite der Bilanz stehen die Kundegelder als wesentliche Funding-Quelle der von der Bank begebenen Kredite. Dabei ist der Mix der Kundegelder entscheidend: Girokonten sind für die Bank meist zinslos, doch gleichzeitig kann das Geld jederzeit abgezogen werden. Längerfristige Sparverträge bringen mehr Stabilität aber dafür höhere Zinskosten. In der derzeitigen Niedrig- oder Negativzinsphase treten noch Sonderprobleme auf, da teilweise sogar mit Negativzinsen gerechnet werden muss – so verlangen manche Banken inzwischen von Kunden für höhere Barbeträge Zinsen, statt welche zu zahlen. Wesentliches Bewertungskriterium bleibt aber, dass die Zinskosten für die Bank möglichst niedrig ausfallen.
Der nützlichste Teil des Buches bezieht sich auf die Auswahl eines guten Investments. Schritt eins ist das Herausfiltern möglicher Kandidaten anhand bestimmter Kennzahlen. Doch die Autoren weisen nachdrücklich darauf hin, dass die meisten Banken nahe ihres fairen inneren Wertes gehandelt werden. Anders gesagt: Ein niedriges KGV oder BPV deutet meist auf Probleme in der Bilanz hin; man denke nur an die lange Leidensgeschichte der Deutschen Bank. Daher sollte der Bankinvestor nicht in die “Value-Trap” fallen und sich von optisch oder oberflächlich günstigen Indikatoren verführen lassen. Doch immer wieder gibt es Banken, die tatsächlich unterbewertet sind. Der Analyst muss nach dabei die Bilanz nach problematischen Aktiva (z. B. Immobilien die von der Bank in Besitz genommen wurden ) und insbesondere notleidenden oder suspekten Krediten durchkämmen.
Da die öffentliche Bilanz nur aggregierte Zahlen liefert, ist es umso wichtiger den Trend genau im Auge zu behalten: Steigt der Anteil notleidender Kredite am Gesamtkapital? Ist das Kreditportfolio auch bei einer konjunkturellen Abkühlung robust? Was passiert mit dem Hypothekenportfolio, wenn die kurzfristigen Zinsen steigen? Wie sieht der Mix zwischen Hypotheken, Konsumentenkrediten und Geschäftskrediten aus? Ist die Bank zu sehr auf eine risikoreiche Nische oder Region konzentriert?
Auch die Kapitalisierung der Bank erfordert eine sorgsame Analyse. Natürlich erfüllen (fast) alle Banken das regulatorische Minimum (Kernkapitalquote). Doch wie gut ist die Kapitalisierung wirklich? Hat die Bank ein Polster für schlechte Zeiten? Wie hoch sind regulatorisches Kapital und Eigenkapital im Verhältnis zur Gesamtbilanz oder Risikokapital? Die Autoren warnen aber auch für Überkapitalisierung: Zuviel Kapital heisst, dass die Bank auf unnötigen Cash sitzt statt dies auszuleihen und Zinsen zu generieren.
Die Passivseite der Bilanz erfordert genauso Augenmerk: Hat die Bank Kapital über Vorzugsaktien erhalten? (Sehr bedenklich). Auch die hohe Verschuldung der Bank am Bondmarkt ist aus Sicht der Autoren bedenklich.
Im Hinblick auf die GuV ist die Cost-/Income-Ratio mit anderen Banken zu vergleichen – eine zu hohe CIR deutet auf ungelöste Managementprobleme hin und kann zu einem Bewertungsabschlag führen. Auch der Blick of die Nicht-Zins-Einkünfte ist wichtig. Denn der Markt kann es negativ sehen, wenn bestimmte Einkünfte als längerfristig nicht haltbar bewertet werden.
Sind alle diese Checks zur Zufriedenheit des Anlegers ausgefallen, besteht tatsächlich eine grössere Wahrscheinlichkeit, dass eine Bank unter ihrem inneren Wert gehandelt wird. Ob man aber wirklich alle Leichen im Keller entdeckt hat, das zeigt dann erst die Zukunft. Das Buch von Tobik und Yellen ist eine gute Leitschnur, Bankaktien systematisch zu testen, Risiken einzugrenzen und vielversprechende Banken zu kaufen, die früher oder später an Wert gewinnen, wenn der breite Markt (oder ein Firmenkäufer) den wahren Wert dieser Firma entdeckt.
Insgesamt ist das Bank Investor’s Handbook ein sehr empfehlenswertes Buch, das vielleicht dem Bankenexperten wenig Neues bietet, aber interessierten Privatanlegern grundlegende und hilfreiche Anleitung gibt.
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