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Der Faktor Mensch und wie man ihn bewertet

Viele Aktienanalysten verlassen sich bei der Bewertung eines Unternehmens auf Bilanzen und die daraus abgeleiteten Kennzahlen. Die Strategie und Wettbewerbsposition einer Firma finden in einem typischen Analystenbericht daneben oft nur eine oberflächliche Würdigung. Die Bewertung der Qualität des Managements und dessen Entscheidungsfiindung spielt bei den Analysen praktisch keine Rolle mehr, ausser in den seltenen Fällen, wo ein CEO oder Top-Manager sich etwas Schwerwiegendes zuschulden hat kommen lassen.


Alle Bilanzpositionen und Kennzahlen sind jedoch nichts anderes als die Folge menschlicher Entscheidungen und Handlungen. Der Faktor Mensch ist somit die kritische Variable. Dabei kommt den Vertretern des Top-Managements und den Mitgliedern der Aufsichtsgremien (Aufsichträte, Verwaltungsräte) eine besonders wichtige Rolle zu. Jeder Anleger und jeder Analyst sollte daher sein Augenmerk - zumindest hin und wieder - auf die Menschen in der Führung eines Unternehmens richten. Dieser Faktor ist oft gleich wichtig oder sogar wichtiger als die Branche, der ein Unternehmen angehört, oder das allgemeine Marktwachstum. Insbesondere der Unterschied zwischen Spitzenperformance und nur durchschnittlicher Leistung hängt sehr stark mit der wichtigen Rolle zusammen, die einzelne Individuen in einem Unternehmen einnehmen.


Wie ich in meinem aktuellen Buch zeige, ist einer der wichtigsten Faktoren für eine langfristig gute Aktienperformance das Vorhandensein von Ankeraktionären. Die zentralen Akteure sind dabei oft der oder die Firmengründer selbst, die Nachkommen und die weitere Familie. Liegt die Gründung schon lange zurück, nehmen meist Ankeraktionäre aus der erweiterten Familie eine Schlüsselstellung ein. Aber auch langfristig orientierte externe Aktionäre können eine sehr positive Rolle einnehmen; man denke hier nur an die Beteiligungsgesellschaft Berkshire Hatahway und deren Chairman Warren Buffett. Eine herausragende Rolle spielen auch die Aufsichtsräte, insbesondere der Aufsichtsratsvorsitzende und die operative Unternehmensleitung.


Gerade in Krisensituationen zeigt sich, ob die handelnden Personen in der Lage sind, vorwärtsweisende Entscheidungen zu treffen. Es offenbart sich jedoch auch, dass selbst die talentiertesten Unternehmer und Manager hin und wieder gravierende Fehleinschätzungen treffen und einen falschen Weg einschlagen. Für viele ist es ein schmaler Grat, die Expansion einer mittelständisch und unternehmerisch geprägten Organisation zu einem global agierenden Konzern erfolgreich zu bewältigen. Der Rolle der Aufsichtsräte kommt hier eine entscheidende Bedeutung zu. Es ist zu beobachten, dass insbesondere der Aufsichtsratsvorsitzende dem Vorstand in bestimmten Situationen Paroli bieten muss. Wenn die Person des Aufsichtsratsvorsitzenden nicht die notwendige Stärke besitzt, um dem Vorstand ein gleichwertiger Diskussionspartner zu sein und – wenn nötig – den Vorstand auch in die Schranken zu weisen, kann es zu gravierenden Fehlentwicklungen kommen.


Doch wie kann ein externer Anleger oder Analyst diesen menschlichen Faktor bewerten? Gibt es Kriterien, die helfen das Handeln der entscheidenden Akteure einzuschätzen? Die folgenden, einfachen zehn Punkte haben sich für mich als hilfreiche Leitlinien erwiesen:


Fünf Do's:

  • Langfristige unternehmerische Verbindung eines relevanten Teils des Aktionariats mit dem Unternehmen (Ankeraktionäre oder geduldiges Kapital)

  • Führungspersonen (Top-Manager) sind unternehmerisch mit der Firma verbunden, z. B. durch relevante Beteiligungen

  • Glaubwürdige, langfrisrtige Strategie wird durch die Führung formuliert

  • Stetige Verfolgung und Umsetzung der Strategie durch das Top-Management

  • Starke Position des Aufsichtsrats und dessen Vorsitzenden, auch und gerade gegenüber dem Vorstand bzw. der operativen Führung

Fünf Dont's:

  • Häufige, grundlegende Strategiewechsel

  • Häufige Wechsel im Vorstand und Aufsichtrat

  • Wechsel im Vorstand oder Aufsichtsrat, die mit "unvereinbaren strategischen Zielen" begründet werden

  • Geschichte von gescheiterten Akquisitionen

  • Mehrfache Gewinnwarnungen oder andere Enttäuschungen, die auf übertriebene Erwartungen des Managements bezüglich des Geschäftsverlaufs hinweisen

Die obigen Punkte sind natürlich im Gesamtkontext der Unternehmensstrategie und -situation zu sehen. Es gibt sicherlich Unternehmen und Branchen, die schnelllebiger sind, wo es dahrer zu häufigeren Wechseln im Management kommt. Auch sind einzelne, gescheiterte Akquisitionen nicht automatisch ein Warnzeichen, wenn andere erfolgreicher verlaufen sind. Doch sollte zumindest eine mentale Warnlampe aufleuchten, wenn einige der "Do's" nicht vorhanden sind und die "Don'ts" immer wieder ins Auge stechen.

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