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Die selbstzufriedene Klasse

Die selbstzufriedene Klasse, oder wie der Titel des aktuellen Buches von Tyler Cowen lautet “The Complacent Class

“…beschreibt die wachsende Zahl von Menschen in unserer Gesellschaft, die den Widerstand gegen neues, anderes und herausforderndes akzeptieren, begrüssen oder sogar durchsetzen.”

Tyler Cowen zeichnet ein Land, in dem die Menschen über 50%  weniger umziehen als noch vor 50 Jahren, in dem es immer weniger Start-ups  gibt, in dem die Menschen immer länger bei einem Arbeitgeber bleiben, wo die Konzentration grosser Firmen in den Märkten zunimmt  und das durchschnittliche Alter der Bevölkerung immer weiter steigt. Kurz gesagt, er beschreibt ein Land der satten Stagnation, der selbstgefälligen Lähmung und der Innovationslosigkeit. Professor Cowen – einer der herausragenden, eher libertär angehauchten Ökonomen der USA – belegt alle diese Entwicklungen mit einer Vielzahl von statistischen Details, Beobachtungen und Anekdoten aus dem Alltag der heutigen US-Gesellschaft. Eine gesellschaftliche Diagnose, die aber auch genauso gut (wenn nicht sogar noch besser) auf die heutigen westeuropäischen Gesellschaften passt.

Für diese Entwicklung  gibt es eine Vielzahl von Ursachen: demographische Verschiebungen hin zu einer überalterten Gesellschaft, sinkende Arbeitsproduktivität durch geringe Innovationsraten, Risikoaversion einer weitgehend gesättigten Gesellschaft oder eine Vielzahl von Regulierungen und Vorschriften, die die Gesellschaft lähmen. Neue Erfindungen, die “grossen Würfe” fehlen. Während zwischen 1850 und 1950 Elektrizität, Automobil, Flugzeug, Massenproduktion und Antibiotika das Leben der meisten Menschen umwälzten und tiefgreifend verbesserten, ist in unserer Zeit lediglich die Informationstechnologie und das Internet als Grossinnovation aufzuführen. Und diese Technologie führt oft genug dazu, dass die Menschen immer bequemer und isolierter werden – man denke nur an Online-Shopping und die Filterblase der sozialen Netze.

Doch im Kern ist es die “Zirkularität der Geschichte”, die zur Stagnation führt. Nach Jahrzehnten des Aufschwunges, des Wachstums und der Wohlstandszunahme besteht für die “Klasse der Selbstzufriedenen” kein Anreiz mehr zu Innovation und Wandel. Ihre Welt erstarrt, jedoch nicht in einer unangenehmen Weise, sondern in einer Art Schlaraffenland ohne Wandel.

Doch dieser Zustand ist auf Dauer nicht haltbar. Risiken kündigen sich untergründig an. Druck bildet sich im gesellschaftlichen Kessel. Cowen sieht im Brexit, in der Wahl Trumps zum US-Präsidenten oder in sich zuspitzenden internationalen Konflikten, wie in Syrien oder auf der Krim Symptome eines heraufziehenden grossen “Resets”. Niemand weiss, wie eine gesellschaftliche Umwälzung und ihre politischen Implikationen genau aussehen würde. Sicher ist nur, dass es eine wesentlich unruhigere, gewalttätigere und risikoreichere Welt wäre.

Cowen gibt keine Perspektive eines Auswegs aus der Selbstzufriedenheit und Selbstgefälligkeit unserer heutigen Zeit, mit der man einen abrupten “Reset” vermeiden könnte. Und dies ist auch die grösste Schwäche des Buches: Innovationskraft, Wandel, Risikobereitschaft, Offenheit für Neues und “grosse Würfe” sind Eigenschaften von Gesellschaften, die das Individuum und seine bürgerlichen Freiheiten respektieren. Sollte es nicht möglich sein, solche Reformen politisch umzusetzen? Krisenhafte Entwicklungen – seien es Brexit oder Verteilungskonflikte – ergeben auch immer politische Chancen. Entschiedene liberale Kräfte können dies nutzen und so die Gesellschaft verändern. Vielleicht wird dann aus der selbstzufriedenen Klasse wieder die innovative und produktive Klasse, die soviel für unseren Wohlstand, unsere Sicherheit und unseren Fortschritt erreicht hat.

Trotz dieser Einschränkungen ein durch und durch empfehlenswertes, scharfsinniges Buch.

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