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Die Wachstumsfalle


2005 veröffentlichte Finanzprofessor Jeremy Siegel (Wharton Business School) ein Buch mit dem Titel "The Future for Investors". Das Kapitel 1 trägt den Titel "Uncovering the Growth Trap" oder auf Deutsch "Wie man die Wachstumsfalle erkennt". Siegel analysiert hier detailliert - aus der Persepektive des Jahres 2005 - warum es langfristig ein Fehler sein kann, in den Hochwachstumssektor zu investieren. Diese Analyse erfolgte vor dem Hintergrund des damals nur wenige Jahre zurückliegenden Platzens der Dot-Com-Blase, wie man den jähen Absturz vieler Internetaktien nannte.

Die Analysen und Lehren, die Siegel 2005 vereöffentlichte, scheinen mir heute wieder aktueller denn je. Seit seinem Allzeithoch bei 16,765 Punkten ist der Technologieindex NASDAQ um über 20% gefallen, teilweise war der NASDAQ dieses Jahr schon fast 35% im Minus. Eine gute Gelegenheit, um die langfristige Perspektive von Siegel noch einmal Revue passieren zu lassen. Seine Kernthese lautet:

Die Wachstumsfalle verführt Investoren, für die Firmen und Branchen zu viel zu bezahlen, die die Innovation vorantreiben und die Speerspitze des Wirtschaftswachstums darstellen. Diese unablässige Suche nach Wachstum - durch den Kauf von heißen Aktien, die Suche nach aufregenden neuen Technologien, oder das Ivestieren in die am schnellsten wachsenden Länder - verdammt die Anleger zu einer unterdurchschnittlichen Rendite. Tatsächlich zeigt die Geschichte, dass viele der Aktien mit den besten Renditen in schrumpfenden Branchen und langsamer-wachsenden Ländern gefunden wurden". (Siegel, J.: The Future for Investors, S. 3)

Siegel legt dar, dass die Top-Performer über mehr als 50 Jahre betrachtet (von 1950-2003) allesamt Unternehmen aus sehr traditionellen Branchen waren:


1. Nationial Dairy Products (Kraft Foods): 15,47% durchschnittliche jährliche Rendite 2. R.J. Reynolds Tobacco: 15,16% 3. Standard Oil of New Jersey (Exxon Oil): 14,42% 4. Coca-Cola: 14.44%


Ende 2020 hatte sich das Bild jedoch stark verändert. In einem Betrachtungszeitraum über 30 Jahre lagen die folgenden Firmen auf den Plätzen 1-4:


1. Amazon.com (Internet Handel): 38,4% 2. Monster Beverage Corp (Lebensmittel).: 35,4% 3. Jack Henry & Associates, Inc (Information Technology).: 29,1% 4. Cerner Corp. (Health Information Services): 27,4%


Doch knapp 2 Jahre später, im Juli 2022, hatte sich die Situation für Techaktien dramatisch verschlechtert und die Top-4-Liste für den Zeitraum von 1992 -2022 sah daher etwas verändert aus:


1. Monster Beverage Corp: 34,6% 2. Amazon.com: 28,8% 3. Pool Corp. (Swimming-Pool wholesale).: 28,2% 4. Nvidia Corp.(Semiconductor): 32,6% (aber über weniger als 30 Jahre, daher absolut geringere Rendite und Platz 4)


Seit dem Abflauen der großen Finanzkrise um das Jahr 2010 gab es einen unglaublichen Boom für Technologieaktien. Anfang 2020 machten alleine Apple, Microsoft, Alphabet, Amazon und Facebook knapp 20% der Marktkapitalisierung des gesamten S&P 500 aus. Oder anders ausgedrückt: 1% der Aktien des S&P 500 standen für knapp 20% der MarketCap. Es ist auch auffällig, um wie viel höher die durchschnittliche, jährliche Performance der Top-Aktien in den letzten 30 Jahren liegt, verglichen mit dem Zeitraum 1950-2003, der ursprünglich von Siegel analysiert wurde. Es gab ab den 1990er Jahren und insbesondere nach 2010 nicht nur eine unglaubliche Performance von Wachstumsaktien, sondern auch eine sehr starke Expansion der Bewertung, wie man im Allgemeinen an den sehr hohen KGV (Kurs-Gewinn-Verhältnissen) vieler Technologieunnternehmen feststellen kann.

War diese ganze Entwicklung vieleicht eine massive Wachstumsfalle, in die sich viele Anleger locken liessen? Siegel würde dies wahrscheinlich bejahen:

Die langfristige Rendite einer Aktie beruht nicht auf dem tatsächlichen Wachstum ihrer Gewinne, sondern auf der Differenz zwischen dem realen Gewinnwachstum und dem Gewinnwachstum, das die Anleger erwartet haben." (Siegel, J.:The Future for Investors, S. 41)

Oder anders gesagt: Wenn die Bewertung einer Aktie massiv in die Höhe schnellt, dann steigen die Erwartungen an das Gewinnwachstum stark an, denn sonst liesse sich die Bewertung nicht rechtfertigen. Dies legt im Umkehrschluss nahe, dass ab einem gewissen Punkt das Wachstum nicht mehr mit den Erwartungen mithalten kann und entsprechend der Kurs der Aktie nach unten korrigieren muss. Ein Phänomen, das wir in den letzten Monaten sehr gut beobachten konnten. Gleichzeitig ist auch zu beobachten, dass Unternehmen mit eher durchschnittlichen oder leicht überdurchschnittlichen Wachstumsraten, aber wesentlich geringerer Bewertung (kleineres KGV), weniger hohe Abschläge an der Börse zu verkraften hatten. Siegels Erkentnis, dass Aktien mit durchschnittlicher Bewertung, aber trotzdem guten, (etwas) überdurchschnittlichem Wachstum, sich langfristig als die beste Wahl erweisen, könnte sich wieder einmal bewahrheiten. Die Lektüre von Siegels Buch, mehr als 15 Jahre nach seinem Erscheinen, erscheint wieder sehr lohnenswert.

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