Obwohl lange tot geglaubt oder totgesagt, ist die Inflation vor einiger Zeit wieder zum Leben erwacht. Derzeit liegt die jährliche Inflationsrate in den USA bei über 5%, im Euroraum bei rund 3% bis 4%. Das erscheint nicht viel, bedeutet aber, dass in dem Vereinigten Staaten der Wert des Geldes innerhalb von zehn Jahren bei dieser Rate rund 40% verlieren würde. Beim Euro wären es circa 30%. Viele Ökonomen sehen das Inflationsproblem nur als temporäre Phase. Andere sind da eher skeptisch. Und die EZB findet es eigentlich ganz prima – schliesslich ist es ja eine elegante Art, die Staatsschulden in der Eurozone endlich loszuwerden, ohne dass die Regierungen sparen müssten.
Unabhängig von der volkswirtschaftlichen Sicht, fragt sich der Anleger natürlich, was die Inflation für ein Portfolio aus Einzelaktien oder auch Aktienfonds bedeutet.
Grundsätzlich gelten Aktien ja als relativ inflationsfeste Anlageklasse, da es sich – wie bei Immobilien oder auch Rohstoffen – um einen so genannten Realwert handelt. Eine Aktie repräsentiert grundsätzlich den Anspruch auf einen zukünftigen Cashflow an Dividenden. Somit gilt hier entsprechend des klassischen diskontierten Dividendenmodells folgender Zusammenhang:
Aktienkurs in der Gegenwart = Aktuelle Dividende (1 + Wachstumsrate) / (Erforderl. Rendite – Wachstumsrate)
oder als Formel:
P0 = D0 (1 + g) / (r – g)
Wobei r und g nominale Raten sind, also nicht um die Inflation bereinigt wurden. Wenn man nun zeigen kann, dass die Gleichung nicht nur für die nominal erforderliche Rendite r und Wachstumsrate g gilt, sondern auch für die realen Raten (also um die Inflation bereinigt), dann wäre alles grundsätzlich in Butter. Ohne jetzt in die mathematischen Details zu gehen, gilt die Bewertung mittels des diskontierten Dividendenmodells auch bei der Anwendung realer Raten. Dafür müssen aber drei Bedingungen eingehalten werden:
Die Inflation muss von den Marktteilnehmern korrekt vorhergesehen werden.
Die erwartete Inflation beeinflusst die erforderliche Rendite und die Wachstumsrate in der gleichen Weise.
Die realen Raten für die erforderliche Rendite und das Wachstum verändern sich nicht durch die Inflation.
Und hier liegt natürlich die Krux des Ganzen: Die Marktteilnehmer sehen die Inflation nur selten korrekt vorher. Dies führt dazu, dass die Anleger häufig genug nominale und reale Raten nicht richtig anpassen. Dies führt wiederum dazu, dass Marktteilnehmer tendenziell reale Wachstumsraten annehmen, aber mit einer nominal erforderlichen Rendite r rechnen – effektiv also das Wachstum unterschätzen bzw. die Diskontierungsrate überschätzen. Dies führt dazu, dass es in Zeiten der Inflation zu einer Unterbewertung von Aktien kommen kann.
Ein weiterer Faktor liegt darin, dass r und g nicht inflationsunabhängig sind. Man kann also nicht einfach von den nominalen Raten die erwartete Inflation abziehen und schon hat man die realen Raten, die wiederum unverändert im Vergleich zu Zeiten ohne Inflation sind. Tatsächlich ist es realistischer anzunehmen, dass beide Raten durch die Inflation beeinflusst werden können. Einerseits kann die Inflation die Wachstumsrate g negativ beeinflussen, da insbesondere in Zeiten sehr hoher Inflation Investitionsentscheidungen zurückgestellt werden. Andererseits kann Inflation die Risikoprämie auf Aktien erhöhen, da es schwieriger wird die Bilanzen zu verstehen und somit ein höheres Risiko für Fehlinvestitionen entsteht.
Mit den Rechnungslegungsvorschriften aus IAS 29 gibt es ja bereits ein Instrument, das beschreibt, wie mit der Bilanzierung in Hochinflationsgebieten umzugehen ist. Allerdings ist IAS 29 nur anzuwenden, wenn sich die kumulative Inflationsrate über drei Jahre einem Wert von 100% nähert oder diesen überschreitet. Dabei sollen bei der Bilanzierung folgende Regeln zusätzlich gelten:
“Ein Unternehmen, das der Hochinflation unterliegt, hat in seinem Abschluss Folgendes anzugeben: der Gewinn oder Verlust aus der Nettoposition der monetären Posten [IAS 29.9];dass der Abschluss und die Vergleichszahlen für frühere Perioden aufgrund von Änderungen der allgemeinen Kaufkraft der funktionalen Währung angepasst wurden und daher in der am Abschlussstichtag geltenden Maßeinheit angegeben sind [IAS 29.39]ob der Abschluss auf dem Konzept historischer Anschaffungs- und Herstellungskosten oder dem Konzept der Tageswerte basiert [IAS 29.39]Art und Höhe des Preisindexes am Abschlussstichtag sowie Veränderungen des Indexes während der aktuellen und der vorangegangenen Periode [IAS 29.39]“ Quelle: Deloitte
Natürlich sind die Euro-Zone oder der Dollar-Raum noch weit von einem derartigen Hochinflationsszenario entfernt. Doch kann es auch schon bei deutlich niedrigeren Inflationsraten zu Verzerrungen kommen, die eine Interpretation der Bilanz erschweren. Es gilt im wesentlichen drei wichtige Effekte zu beachten:
Die Abschreibung anhand historischer Kosten der Vermögenswerte führt zu einer Überschätzung der Gewinne: Da die realen Ersatzkosten für die abzuschreibenden Investitionsgüter natürlich deutlich über den historischen Anschaffungskosten liegen, führt dieser Effekt dazu, dass die Gewinne durch die Inflation künstlich aufgeblasen werden. Dieser Effekt trifft grundsätzlich kapitalintensive Unternehmen wesentlich stärker (Investitionsgüterindustrie) als Unternehmen mit einem höheren Anteil von Working Capital in der Bilanz.
Bewertung der Vorräte: Je nach gewähltem Verfahren, kommt es zu unterschiedlichen Verzerrungen in der Bilanz. FIFO (first in, first out) führt zu einer Überschätzung der Gewinne, da die Umsatzkosten mit den historischen Werten angesetzt werden. Die LIFO-Methode (last in, first out) gibt dagegen ein besseres Bild der Gewinne, da von den Umsätzen inflationierten Kosten abgezogen werden. Allerdings wird dann der Wert des Lagerbestandes zu gering eingeschätzt und damit die Vermögenswerte zu gering bewertet. Dies führt zu einer Überschätzung des Return on Assets (RoA). Grundsätzlich ist aber die LIFO-Methode in inflationären Zeiten besser geeignet.
Bewertung der Zinskosten: Generell führt Inflation dazu, dass sich der Wert der bilanzierten historischen Schulden real über Zeit sehr stark reduziert. Der gleiche Effekt führt auch dazu, dass die zu zahlenden Zinsen auf die Schulden real immer niedriger werden, zumindest im Falle von festverzinslichen Krediten. Es kommt also auch hier zu einem Effekt der Überschätzung der Gewinne. Die Steuerlast kann entsprechend ansteigen. Denn wenn die Schulden refinanziert werden müssen, dann steigt die Zinslast plötzlich überproportional an. Stark verschuldete Unternehmen können aber auf diese Weise (genau wie stark verschuldete Staaten), ihre Schuld- und Zinslast reduzieren und die Gewinne optisch aufpolieren.
Grundsätzlich sehen wir , dass Inflation tendenziell zu einer scheinbaren Verbesserung der Gewinnsituation des Unternehmens führen kann, da die Abschreibungen und die Bestandskosten wie auch die Zinskosten real zu niedrig angesetzt werden. Als Anleger sollte man sich daher in die Bilanz und den Anhang dazu vertiefen und sich fragen:
Wie hoch müssten die inflationierten Abschreibungen eigentlich liegen (wenn man die Wiederbeschaffungskosten der Anlagegüter ansetzt) ?
Wie bewertet das Unternehmen seine Vorräte (FIFO oder LIFO) und welchen Effekt auf die GuV bzw. Bilanz sehen wir dadurch ?
Beruhen die Zinskosten auf festen Sätzen und zu niedrig bewerteten Schulden oder sind die Zinsen der aktuellen Situation angepasst ?
Auch schon bei einer Inflation von 5% können sich hier über Zeit relevante Effekte ergeben. Viele Anleger unterschätzen die Effekte, da die Perioden mit signifikanter Inflation über längere Zeiträume längst vergangen erschienen. Doch die Lehren aus den 1970er und 1980er Jahren sind vielleicht heute wieder aktueller als viele glauben.
Interessanterweise sieht man aber, dass es durch die Inflation auch zu gegenläufigen Effekten kommen kann: Einerseits führt – wie weiter oben beschrieben – eine inkorrekte Anwendung des Bewertungsmodells mit nominalen statt mit realen erforderlichen Renditen zur Unterbewertung einer Aktie. Während die Effekte der Inflation in der Bilanzierung zu einer Überbewertung führen können. Je nach Branche und bilanzieller Situation wie auch Bilanzierungsmethodik kann es also im Endeffekt zu Verzerrungen in beide Richtungen kommen.
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