Warum hat Warren Buffett 1958 in eine obskure Firma namens Sanborn Map Company investiert? Was war die Logik hinter seinem Kauf von Coca-Cola-Aktien 1988? Und warum gab er mit dem Kauf von IBM-Aktien in 2011 seine bisherige Zurückhaltung gegenüber Tech-Aktien auf? Wer sich solche Fragen stellt, dem sei das 2016 erschienene Buch Inside the Investments of Warren Buffett empfohlen. Der Autor ist Yefei Lu, ein Portfolio Manager bei der Value Management AG in Frankfurt am Main. Inzwischen gibt es den Band auch in einer deutschen Übersetzung.
In 20 Fallstudien analysiert Yefei Lu die wichtigsten Anlageentscheidungen von Warren Buffett aka Berkshire Hathaway seit Ende der 50er Jahre. Der Betrachtungszeitraum umfasst mehr als 60 Jahre und zeigt, wie sich die Strategie Buffetts über die Jahrzehnte entwickelt hat. So unterteilt das Buch die Buffettsche Vorgehensweise grob in drei Hauptphasen: Die Jahre der Partnerschaft (bezieht sich auf das Buffett Partnership, das 1965 aufgelöst wurde), die mittleren Jahre und die späten Jahre. Für jede Phase sieht der Autor unterschiedliche Investmentprinzipien am Werk: In seiner Frühphase (bis 1968) kaufte Buffett sehr günstig bewertete Unternehmen, die trotzdem über ein qualitativ gutes Management und Geschäftsmodell verfügten. Beispiele dafür sind Sanborn Maps und Dempster Mill.
In den mittleren Jahren (von 1968 bis circa 1990) fokussierte Buffett zunehmend auf die Qualität des Geschäftsmodells und schaute vor allem auf nachhaltige Gewinne und weniger auf die reinen Assets. Sees Candies, Coca-Cola oder auch GEICO fallen in diese Phase. Buffetts Interesse galt hier nicht unbedingt sehr starkem Gewinnwachstum, sondern konsistentem Gewinnwachstum. Die Nachhaltigkeit des Geschäftsmodells war ihm wichtiger als kurzfristig hohes Wachstum.
In der späteren Phase der Buffettschen Investmentgeschichte (etwa seit 1990), steht Berkshire vor der Herausforderung immer grössere Beträge sinnvoll anlegen zu müssen. Beispiele sind General Re, IBM oder der Bahnbetreiber BNSF. Auch in dieser Phase hält Buffett seinen Qualitätsmassstab aufrecht, ist aber gezwungen wesentlich mehr Kapital pro Investment aufzuwenden. Seine Anforderungen an die Profitabilität scheinen etwas geringer zu werden.
Der Hauptteil des Buches besteht aus Fallstudien, die teilweise sehr stark in die Tiefe der bilanziellen Einzelheiten gehen. Seitenweise druckt der Autor Bilanzen ab, so drängt sich etwas der Verdacht auf, dass es vor allem darum geht die Seitenzahl des Bandes etwas aufzublasen. So sind etwa 5 Seiten des 14-seitigen Profils über Midamerican Energy nur mit dem Nachdruck der Bilanzen gefüllt.
Nichtsdestotrotz sind die Profile interessant zu lesen und der Leser lernt viele Details über Buffetts Investmentlogik. So ist es etwa interessant zu verstehen, dass Buffett Sanborn Maps nicht wegen der operativen Gewinne attraktiv fand, sondern mit scharfen Augen erkannt hatte, dass diese eher obskure, kleinkapitalisierte Firma auf einem Berg unrealisierter Wertpapiere sass, die ein Investment attraktiv erscheinen liessen. Ein anderer überraschender Fall ist General Re. Dieser Rückversicherungskonzern zeigte sich in seinen Bilanzen nicht gerade als überdurchschnittlich erfolgreich; die Schaden-Kosten-Quote lag meist über 100% und damit mehr oder weniger im langjährigen Durchschnitt anderer Konzerne. Buffett war aber so hellsichtig, dass er sah, dass in den Jahren vor der Akquisition das Underwriting (also die Ausgabe neuer Policen) merklich konservativer geworden war und daher in der Zukunft eine höhere Profitabilität zu erwarten war. Gleichzeitig sah er den Erfolg von General Re in der Anlagepolitik, den er gerne für sein schon bestehendes Versicherungsportfolio nutzen wollte.
Leider bleibt das Buch aber, was die Intentionen und Überlegungen Buffetts betrifft, oft etwas unkonkret und spekulativ, was daran liegen mag, dass sich Buffett und Berkshire selbst eher bedeckt zu ihren Akquisitionen halten. Interessant wäre es jedoch gewesen, wenn der Autor auch noch einen Blick auf die Performance nach der Akquisition geworfen hätte, was hie und da auch geschieht, aber leider nicht systematisch genug.
Ein weiterer Schwachpunkt des Bandes ist auch die unkritische Haltung gegenüber Berkshire und seinen Investments. Warren Buffett ist sicher der erste, der zugibt, dass auch ihm und Charlie Munger Fehler unterlaufen sind. Insofern hätte ich mir durchaus eine kritischere Würdigung in einigen Fällen gewünscht. Hier sei nur beispielhaft IBM genannt. Leider ist diese Fallstudie eine recht unkritische und oberflächliche Diskussion des IBM-Geschäftsmodells. Berkshires Akquisition fand 2011 statt und zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung (2016 erste Auflage und 2018 Paperback) war deutlich absehbar, dass IBM in vielerlei Hinsicht den Anschluss an technische Entwicklungen und Kundenbedürfnisse verloren hatte. Die Jahre von CEO Virginia Rometti (2012-2020) kann man als verlorene Jahre für IBM bezeichnen und sie fallen komplett in die Zeit, in der auch Berkshire stark bei IBM engagiert war. Warum etwa versuchte Buffett hier nicht eine Veränderung im Management durchzusetzen? Warum konnte Rometti acht lange Jahre der Stagnation IBM anführen, während Firmen wie Amazon Web Services, Microsoft und Google den Cloudmarkt unter sich aufteilten? Unangenehme Fragen, die der Autor Yefei Lu leider nicht beantwortet.
Trotz dieser Schwächen ist “Inside the Investments of Warren Buffett” aber lesenswert. Die Auswahl der Fallstudien zeigt die Breite des Denkens von Buffett/Munger und ist darüber hinaus eine gute historische Aufarbeitung der Geschichte des amerikansichen Kapitalismus über die letzten 60 Jahre aus der Sicht eines der erfolgreichsten Capital Allocators, den die Welt jemals gesehen hat.
Allerdings würde ich als Ergänzung zu diesem Buch eine neue oder wiederholte Lektüre des älteren Bändchens von Robert Hagstrom mit dem Titel The Warren Buffett Way empfehlen. Aus meiner Sicht gelingt es Hagstrom mit grosser analytischer Schärfe die Leitlinien von Buffetts Anlagepolitik in Bezug auf Geschäftsmodell, Management, Finanzen und Bewertung herauszuarbeiten. Mit diesem analytischen Modell im Hinterkopf lässt sich der Band von Yefei Lu sicher noch gewinnbringender lesen.
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