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“The Man Who Solved the Market” – Buchbesprechung

Im Frühsommer 1978 sass Jim Simons in einem kleinen, schäbigen Büro, mit beiger, verblichener Tapete. Neben seinem Büro in der heruntergekommenen Ladenzeile lag ein Damenbekleidungsgeschäft und ein Pizzalieferdienst. Er hat ein einziges Computer-Terminal (PCs oder Internet waren noch nicht erfunden) und die Telefonverbindung war etwas wacklig. Hier beginnt die Geschichte des (möglicherweise) erfolgreichsten

Hedgefonds aller Zeiten: Renaissance Technologies Medallion Fund. Seit 1988 hat dieser Hedgefonds eine annualiserte Rendite von 66.1% (brutto) und 39.1% (nach Gebühren). Damit schlägt Jim Simons andere Investorenlegenden wie George Soros (Quantum Fund), Steven Cohen (SAC) oder den legendären Peter Lynch (Magellan). Auch Warren Buffett (Berkshire Hathaway) kann diese Performance nicht erreichen.

Doch Simons ist nicht nur ein begnadeter Fondsmanager sondern auch ein eingefleischter Geheimniskrämer. Seine Strategien bleiben weitgehend im Dunkeln. Die Performancezahlen sind nicht öffentlich und nicht testiert. Gregory Zuckerman, ein Reporter beim Wall Street Journal und mehrfacher Bestsellerautor, hatte sich daher vorgenommen, Licht ins Dunkel um Jim Simons zu bringen. Er schrieb eine Biographie über den Mann und seinen geheimnisumwitterten Fonds: “The Man Who Solved The Market – How Jim Simons Launched the Quant Revolution“. Doch, um es vorweg zu nehmen, das Licht ist sehr getrübt, eher ein kleines Kerzlein als ein Scheinwerfer. Vieles bleibt ungenau oder zweideutig. Das Buch lässt entscheidende Fragen offen und gibt Antworten, die of trivial erscheinen.

Jim Simons ist Mathematiker, spezialisiert u.a. auf Kryptologie (Verschlüsselungstheorie) und durchläuft eine bemerkenswerte Karriere als Akademiker bis zu seinem 40. Lebensjahr. Doch nebenher wagt er sich immer wieder in die Welt der Finanzspekulation vor. Er investiert in Aktien, Rohstoffe und Währungen. Fundamentale ökonomische Zusammenhänge interessieren ihn nicht. Er vertritt schon damals die Auffassung, dass alle handelbaren Assets Preisentwicklungen aufweisen, die non-random sind. Simons stellt sich damit gegen die Efficient Market Theory (EMT), die  postuliert, dass die Preisentwicklungen von Assets grundsätzlich einem “random walk” gleichen, also nicht vorhersehbar sind, da in heutigen Märkten alle Informationen bereits in den Preisen reflektiert sind. Erst wenn neue Informationen auftauchen, ändert sich der Preis und reflektiert dann meist sehr schnell den neuen Stand.

Diesen Grundgedanken von non-random Kursentwicklungen verfolgt Simons über die nächsten Jahrzehnte. Er engagiert überwiegend Mathematiker und Programmierer, die für ihn immer neue, immer komplexere Modelle zur Preisprognose entwickeln. Am Anfang stehen dabei vor allem Futures auf Währungspaare, später kommen aber auch Rohstoff-Futures und Aktien dazu. Simons sucht gezielt Mitarbeiter aus dem akademischen Umfeld, die wenig bis keine Ahnung von wirtschaftlichen Zusammenhängen oder Finanzmärkten haben. Es geht ihm darum, eine völlig neue Denkperspektive zu eröffnen, unbelastet von den herkömmlichen Urteilen und Vorurteilen der Investmenttheorie.

Renaissance Technologies sammelt unglaubliche Mengen an Daten und betreibt Data-Mining zu einer Zeit als dieser Begriff noch völlig unbekannt war. Die Frage ist immer die gleiche: Gibt es irgendwo in den unzähligen Terabytes an Kursinformationen und anderen Daten statistisch signifikante, anhaltende Muster, die erlauben eine Preisentwicklung eines bestimmten Assets vorauszusehen? Ob es sich dabei um Deutsche Mark, British Pounds, Gold oder Schweinebäuche handelt, ist völlig egal. Ob diese Signale Monate, Tage oder auch nur Minuten zu beobachten sind, ist auch bedeutungslos. Ob es rational nachvollziehbare Gründe für das Verhalten der Marktteilnehmer gibt, spielt letztendlich keine Rolle für Simons und sein Team an PhD-Superhirnen. Es geht nicht darum, warum ein Kurs steigt oder fällt. Es geht lediglich darum, mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit vorhersagen zu können, ob und wann er steigt oder fällt.

Dies ist der Kern der Investmentstrategie von Jim Simons. Doch der Leser, der jetzt mehr Konkretheit und anschauliche Beispiele erwartet hätte, wird weitgehend enttäuscht. Die konkreten Anwendungsfälle bleiben nebulös. Nur an wenigen Stellen wird Zuckerman konkreter. Einmal wird erwähnt, dass wenn ein Markt am Nachmittag eine steigende Tendenz aufweist, dass dann kurz vor Marktschluss Futures gekauft werden sollten, welche dann am nächsten Tag direkt nach der Eröffnung wieder veräussert werden. Es bleibt aber unklar, für welchen Markt dieser Zusammenhang gelten soll. An anderer Stelle erwähnt der Autor, dass rund 60% von Wertpapieren, die plötzliche und starke Kursanstiege oder -abfälle verzeichnen, wenig später eine Gegenbewegung aufweisen. Doch auch dieses Beispiel bleibt unkonkret.

Mehr als die Hälfte der Tradingsinale, die der Medallion Fund verarbeitet sind nicht-intuitiv, d.h. sie entziehen sich einer rationalen Erklärung. Doch was für mehr fundamental orientierte Investoren ein Stoppschild wäre, interessiert Simons und seine Leute nicht. Es zählt nur, was funktioniert. Und so programmieren sie ein vollautomatisches Modell, welches täglich tausende von Trades aufgrund rein statistischer Wahrscheinlichkeiten ausführt. Doch Simons geht noch weiter: Das Modell wird so programmiert, dass es selbständig nach immer neuen Signalen in den Datenmassen sucht und sich dabei neue Trade-Algorithmen ausdenkt und diese auch gleich ausführt. Das Computermodell wird für den Menschen zur selbstoptimierenden Black-Box.

So viel einmal zur grundlegenden Story des Erfolges von Jim Simons quantitativem Tradingmodell. Dieser Teil nimmt vielleicht 10% des Buches ein. Der Rest sind die menschlichen Geschichten rund um den Renaissance Technologies. Wer wurde wann angestellt? Welcher Typus Mensch steht hinter dem Fonds? Welche Konflikte und Rivalitäten haben sich entwickelt? Wer hat die welche Sekretärin verführt? Alles durchaus interessante Lektüre, aber wenig erhellend in Bezug auf den Erfolg des Fonds. Man wird eingeführt in die Welt der Super-Brains zwischen Wall Street und den Mathematikfakultäten von Stanford, Stony Brook und anderer Top Unis. Man lernt etwas über die obskuren und teilweise bizarren Verhaltensweisen dieser Menschen. Es ist ein bisschen wie “Gala” lesen für Investment-Aficcionados.

Auch beantwortet das Buch nicht die Frage, warum keiner der Hunderten von involvierten Fondsmanagern und Programmierern es geschafft hat, sich mit einem ähnlichen Programm auf eigene, erfolgreiche Beine zu stellen. Viele Mitarbeiter haben die Firma über die Jahre wieder verlassen. Angeblich war und ist das Programm des Computermodells offen für alle einsehbar (am Anfang sogar für Assistenten und Sekretärinnen). Man würde erwarten, dass es Dutzende Nachahmer gibt, die vielleicht nicht eins zu eins die Strategien kopieren, was arbeitsvertraglich natürlich ausgeschlossen ist, aber auf den gleichen Prinzipien ähnlich erfolgreiche Programme aufbauen. Dies insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass viele andere quantitativ agierende Hedgefonds in den letzten Jahren alles andere als erfolgreich agierten.

Und selbst die angebliche Performance des Hedgefonds ist nicht über alle Zweifel erhaben. Es gibt keine unabhängige, testierte Bestätigung des schier unglaublichen Erfolgs des Medallion Funds. Auch das Buch listet lediglich die Angaben der Firma auf. Dies hinterlässt einen etwas schalen Nachgeschmack und von einem Wall Street Journal Reporter hätte man sich hier etwas mehr Investigativjournalismus gewünscht.

Alles in allem ein unterhaltsames Buch. Wer sich konkrete, oder gar nachvollziehbare Erkenntnisse über Quant-Investing wünscht, ist am falschen Platz. Vielleicht gibt es ja irgendwann einen Fortsetzungsband eines (ehemaligen) Insiders des Fonds, der die immer noch bestehenden Rätsel des schier unglaublichen Erfolges von Jim Simons besser löst?

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