Seit Februar 2022 herrscht Alarmstimmung an den Aktienmärkten. Viele Börsen sind um 20% oder mehr eingebrochen. Insbesondere Wachstumswerte und die früheren High-Flyer sind im Keller. Viele Anleger snd nervös, fürchten, dass die anhaltende Inflation zu weiteren Verlusten führen wird. Manche Investoren fragen sich auch, ob sie in einer solchen Krise besser auf passive oder aktive Anlagestrategien setzen sollten. Es geht darum, ob es besser ist, einem Börsenindex passiv zu folgen oder aktives Stock-picking zu betreiben. Viele haben im jahrelangen Aufschwung der Börsen in den letzten Jahren auf passive Produkte in Form von ETFs (Exchange Traded Funds) oder Indexfonds gesetzt. Man konnte nicht viel falsch machen, denn es gab bei den Kursen nur eine Richtung: nach oben. Doch jetzt hört man vermehrt Stimmen, die davor warnen, einer solchen Strategie auch im Abschwung zu vertrauen.
Quellen:: FT, Investment Company Institute, World Federation of Exchanges
Der Vormarsch sogenannter passiver Anlagen, die sich an einem Index orientieren, erschien in den letzten Jahrzehnten unaufhaltsam. In den Vereinigten Staaten haben Ende 2021 erstmals die passiven Fonds im Volumen die aktiven Fonds überholt. Der Rest der Welt folgt den USA mit einigen Jahren Verzögerung. Passive Fonds, meist handelt es sich dabei um ETF, werben mit ihren auf der Hand liegenden Vorteilen:
Es entstehen deutlich geringere Kosten als bei aktiven Fonds, da ein teures Team von Investment-Managern nicht notwendig ist.
Die Orientierung an einem Index verspricht marktkonforme Renditen. Der Anleger verdient genau so viel oder so wenig, wie die Marktrendite, abzüglich der geringen Fondskosten.
Da die meisten passiven Anlageformen ETF sind, erfolgt der Handel schnell, unkompliziert und kostengünstig über die Börse. Wer Kunde eines Online-Brokers ist, kann von den geringen Handelsgebühren profitieren.
Eine Vielzahl von Indizes ist heute in Form von Indexfonds oder ETF als Finanzprodukt erhältlich. Der Anleger kann sich auf simple Weise ein Wunschportfolio zusammenstellen.
Dazu kommt, dass aktiv verwaltete Fonds häufig nicht nur teurer sind, sondern auch eine schlechtere Rendite abliefern als die passiven Indexfonds oder ETFs. Eine große Anzahl von Studien hat nachgewiesen, dass passive Fonds in der Regel die vergleichbaren aktiven Fonds bei der Rendite schlagen. Dies liegt vor allem daran, dass die höheren Kosten der aktiven Fonds auch die Rendite langfristig erheblich schmälern kann.
Alles in allem betrachtet, scheint die Argumentation für passive Anlagestrategien mehr als eindeutig zu sein. In der Fachwelt gibt es kaum noch Experten oder Finanzmarktforscher, die ein gute Haar an aktiven Fonds lassen würden. Es scheint nur noch eine Frage der Zeit, bis der letzte aktive Fondsmanager beim letzten aktiven Fonds das Licht ausschaltet. Doch so einfach ist es nicht. Denn wo viel Licht ist, findet sich unweigerlich auch Schatten.
Zum einen gibt es bei Indexfonds und ETF eine Reihe von technischen Problemen: Der Index, der einem Fonds zu Grunde liegt kann schlecht konstruiert sein, der passive Fonds kann gewissen Risiken ausgesetzt sein, die nicht auf den ersten Blick zu erkennen sind oder er kann einen sogenannten Tracking-Error aufweisen und vom Index bei der Rendite erheblich abweichen. All diese Themen lassen sich relativ einfach in den Griff bekommen, da der Anleger heute aus einer großen Anzahl aus Indizes und Fondsprodukten die besten auswählen kann.
Schwerer wiegt jedoch, dass passive Strategien und Indexfonds Probleme aufwerfen, die die Funktionsfähigkeit der Kapitalmärkte an sich in Frage stellen: Durch den zunehmenden Marktanteil dieser Produkte, verlieren Aktienpreise an Informationsgehalt. Wie ist dies zu verstehen? Die Rolle von Fondsmanagern und Analysten besteht darin, aussichtsreiche Anlagen zu finden. Sie wühlen sich durch die Bilanzen, analysieren börsennotierte Unternehmen und bewerten sie anhand der Unternehmensdaten. Dann fällen sie ein Urteil, ob ein bestimmtes Unternehmen ein Kauf oder ein Verkauf ist. Die Aktienkurse spiegeln diese Informationen wider. Natürlich gibt es viele Marktteilnehmer, die aus ganz anderen Gründen bestimmte Aktien kaufen oder verkaufen. Sie können etwa einfach auf einen Trend setzen oder schlichtweg spekulieren. Das Vorhandensein großer aktiv gemanagter Fonds stellt sicher, dass die wirtschaftliche Entwicklung eines Unternehmens sich meist früher als später im Aktienkurs ausdrückt. Je mehr Analysten und Fondsmanager ein Unternehmen beobachten, desto mehr Information ist im Aktienkurs enthalten und desto schneller passt er sich an.
Wenn nun aber passive Fonds immer mehr Marktanteil gewinnen, geht die Transparenz zurück, denn Kauf- oder Verkaufsentscheidungen werden automatisch getroffen und beruhen nicht auf langwierigen Analysen der Bilanzen. In einem Szenario, in dem es nur noch passive Anleger gäbe, würde dies bedeuten, dass der Aktienkurs überhaupt keinen Informationsgehalt mehr hat. Steigende oder fallende Kurse stellen dann nur noch zufällige Bewegungen dar, die auf der Entscheidung eines Indexverwalters beruhen, ein Unternehmen neu aufzunehmen oder aus dem Index zu werfen. Dieses Szenario wäre schlimmer als eine zentralisierte Planwirtschaft, denn die Allokation von Kapital erfolgte dann nicht mehr nach dem wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens, sondern schlichtweg nach einem Verteilungsschlüssel, der von einer Handvoll marktbeherrschender Indexanbieter festgelegt wird. Die Analysten der amerikanischen Investmentbank Bernstein haben dieses Phänomen vor einigen Jahren als „schlimmer als den Marxismus“ bezeichnet.
Heute sind wir noch ein Stück weit von einem solchen Szenario entfernt. Doch zeigen sich einige beunruhigende Tendenzen: Kleine Unternehmen, die an der Börse notiert sind, werden häufig von keinen Analysten mehr beobachtet. Die Korrelation der Kursentwicklung insbesondere bei fallenden Kursen zwischen verschiedenen Aktien und Märkten steigt tendenziell an. Das heisst, dass Aktien immer stärker einfach die Marktbewegung nachahmen und der Kurs nur noch wenig Eigenleben führt. Alles in allem führt also die passive Anlagerevolution auf Ebene des gesamtwirtschaftlichen Systems zu immer schlechter funktionierenden Kapitalmärkten.
Gleichzeitig konzentriert sich immer mehr Anlegervermögen in der Hand weniger Kapitalanlagegesellschaften: BlackRock, Vanguard und StateStreet sind die 500-Pfund-Gorillas an den Börsen, die gemeinsam mit 77% Marktanteil den ETF-Markt in den USA komplett dominieren. In Europa ist die Konzentration etwas geringer, aber sie zeigt die gleiche Tendenz. Da die Fondsmanager auf den Hauptversammlungen auch das Stimmrecht für die Anleger wahrnehmen, haben sie die geballte Macht, um Unternehmensentscheidungen zu beeinflussen. Oftmals sind sie sogar die größten Aktionäre auf der Hauptversammlung, wenn es einen breiten Streubesitz gibt. So ist BlackRock heute an 18 DAX-Unternehmen mit über 5% beteiligt an zweien sogar mit über 10%.
Dies wirft natürlich Fragen im Hinblick auf Interessenkonflikte auf. Liegt es im Interesse von BlackRock und Co., wenn sich die Wettbewerber im Automobilsektor einen harten Wettbewerb liefern, wenn der Fondsmanager an allen gleich beteiligt ist? Wäre es nicht besser für einen solch beherrschenden Investor, wenn weniger Wettbewerb herrschen würde und alle Anbieter höhere Preise erzielen könnten? Für die Konsumenten wäre das jedenfalls keine gute Entwicklung. Die Beherrschung fast aller börsennotierten Unternehmen durch nur eine Handvoll von mächtigen Aktionären ist dem Wettbewerb und der Marktwirtschaft nicht zuträglich. Selbst wenn es zu keinen offen oligopolistischen Strukturen kommt, so ist doch zu erwarten, dass die Intensität des Wettbewerbs zwischen den Marktteilnehmern eher ab- als zunimmt.
Es zeigt sich auch, dass Firmen wie BlackRock inzwischen oft eine eigene politische Agenda verfolgen. Es geht dabei um die grüne Transformation, die generelle Ausrichtung von Unternehmen an ESG (Environmental, Social, Governance Standards), Diversität und andere Themen, die z. B. von Larry Fink, dem CEO von BlackRock, unterstützt werden. Es geht also darum, dass Unternehmen nicht mehr ihre Shareholder sondern alle sogenannten Stakeholder in den Mittelpunkt stellen. Der Begriff Stakeholder umfasst dabei alle möglichen externen und internen Anspruchsgruppen, deren Interessen ein Unternehmen ins Zentrum seiner Strategien zu stellen habe. Larry Fink argumentiert zwar, dass der Kapitalismus nur funktionieren kann, wenn auch die Umwelt, soziale Standards usw. geschützt sind. Doch dies ist natürlich ein Allgemeinplatz, der nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass Unternehmen schlichtweg nicht funktionieren können, wenn sie die Interessen von externen Anspruchsgruppen vertreten, statt die Interessen ihrer Eigentümer.
Dies mag zwar dem Geschmack einiger Fondsanleger von BlackRock und Co. entsprechen, aber sicher nicht von allen. Eine demokratische Mitbestimmung der Fondsanleger ist jedoch nicht vorgesehen. Die Ausübung der Stimmrechte erfolgt allein über die Fondsgesellschaft.
Was ist das Fazit? Anleger, die unkompliziert, schnell und mit (mehr oder weniger) garantierter Marktrendite investieren wollen, sind mit Indexfonds und passiven Strategien heute noch gut bedient. Der immense Erfolg von passiven Produkten im Markt spricht für ihre Stärken. Doch der Rückzug aktiver Strategien führt langfristig zu immer größeren systemischen Problemen, die das Funktionieren der Kapitalmärkte beeinträchtigen werden. Aktienkurse verlieren an Informationsgehalt, der Wettbewerb zwischen börsennotierten Unternehmen nimmt an und der politische Einfluss einzelner Großaktionäre steigt. Dass sich daraus aber auch Chancen für wagemutige aktive Investoren ergeben, ist wahrscheinlich. Wo solche Chancen zu finden sind und wie man sie wahrnehmen kann, bleibt einem zukünftigen Blogbeitrag vorbehalten.
Was ist was?
ETF: Ein ETF ist ein „Exchange Traded Fund“, also ein Fonds, der an der Börse jederzeit gekauft und verkauft werden kann. Im Gegensatz zu einem traditionellen Fonds, dessen Anteile bei Verkauf an die Fondsgesellschaft zurückgegeben werden, was oftmals einige Tage dauert, kann der Anleger einen ETF sekundenschnell kaufen oder veräussern. Ein Großteil der ETF verfolgt einen passiven Anlageansatz.
Indexfonds: Ein solcher Fonds bildet einen Index nach. Bei Aktienfonds kann dies z.B. der DAX oder der US-amerikanische S&P 500 sein. Es existieren aber auch Rentenindizes (festverzinsliche Papiere), Geldmarktindizes usw. Es gibt dabei verschiedene Methoden, wie der Index repliziert werden kann. Dies geschieht z.B. über den tatsächlichen Ankauf der enthaltenen Aktien in der entsprechenden Gewichtung. Ein Index kann aber auch synthetisch repliziert werden, was typischerweise über einen Swap mit einer Gegenpartei erfolgt.
Passive Anlage: Ein Anlagestil, der sich strikt an einem Index orientiert. Es gibt keinen Fondsmanager, der eine aktive Auswahl von Aktien oder anderen Wertpapieren betreibt. Der Gegensatz davon ist eine aktive Anlagestrategie.
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