Als Value-Investoren sind wir gut geschult in der Beurteilung von Firmen anhand ihrer Kennzahlen und Bilanzen. KGV, Preis-Buchwert, Eigenkapitalrendite oder Free Cashflow sind die Indikatoren, denen wir alle huldigen. Und nicht zu unrecht investieren die meisten von uns nur in Firmen, die hohe Mindestanforderungen in Bezug auf Profitabilität, Bilanz oder Cashflow erfüllen. Die Fülle an Finanzdaten, die heute jedem Investor online zur Verfügung stehen, macht es relativ einfach, solche quantitativen Kriterien anzuwenden, auch wenn man für die eine oder andere Kennzahl vielleicht tief in den Fussnoten der Bilanz wühlen muss.
Doch wir alle wissen auch, dass die Finanzzahlen eines Unternehmens letztendlich nur ein Indikator oder das Ergebnis der Managemententscheidungen sind. Damit meine ich nicht nur die strategischen Entscheidungen, die vom Vorstand oder Aufsichtsrat eines Unternehmens getroffen werden, sondern auch die Fülle der alltäglichen Entscheidungen und Aktivitäten, die tagtäglich die operative Seite eines Unternehmens bestimmen; also auch das was man gemeinhin die Führungskultur einer Firma nennt. Es ist die Gesamtheit dieser Entscheidungen des Managements auf allen Ebenen, welche den Erfolg eines Unternehmens bestimmen. Oft vergehen viele Quartale bis sich dies positiv oder negativ in den Finanzkennzahlen widerspiegelt und dann den Aktienkurs beeinflusst.
Oft scheint es mir fast so, dass Analysten und Investoren sich scheuen, in diesen unübersichtlichen Bereich der “Human Relations” vorzudringen, da ihnen hier die vorgebliche Objektivität harter Daten fehlt. Doch dies ist ein grosser Fehler! Die Integrität, Weitsicht und Motivation des Managements ist entscheidend für den Unternehmenserfolg. Daher sollte man sich nicht scheuen, diese weichen Faktoren zu analysieren und zumindest eine grobe Einschätzung zu treffen. Denn eine Fehleinschätzung des Managements kann jeden Investor teuer zu stehen kommen.
Es stellt sich also die Frage, wie man als Investor die Qualität des Managements von aussen beurteilen kann. Gibt es qualitative oder quantitative Faktoren, die dem Investor Einblicke geben, ohne dass er tatsächlich vor Ort das Management beobachtet und analysiert?
Die folgende Liste von Faktoren hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit und ist Ergebnis meiner jahrelangen Praxis als Investor (aber auch als Unternehmer, Berater und Manager). Ich habe diese Faktoren nicht statistisch getestet, aber ich bin überzeugt, dass sie alle eine mehr oder minder wichtige Rolle für “gutes Management” spielen. Grundsätzlich kann gutes Management aus Investorensicht in drei Dimensionen betrachtet werden: Integrität, Motivation und strategische Handlungsfähigkeit. Jede dieser Dimensionen ist essenziell für gutes Management und kann anhand qualitativer oder quantitativer Indikatoren auch von einem normalen Anleger analysiert werden.
INTEGRITÄT ist die Basis und das sine qua non von gutem Management. Integrität bedeutet im Kern, dass das Management, sich an den Interessen der Anleger ausrichtet. Leitschnur des Handelns in der Chefetage ist somit das Bewusstsein, dass man als leitender Manager sein Eigeninteresse und das Interesse der Investoren in Übereinstimmung bringt und alles unterlässt, was zwar zum eigenen Vorteil sein mag, aber nicht dem Unternehmen dient.
Das Management kommuniziert unter dieser Leitschnur offen und ehrlich mit den Aktionären. Die Bilanzen spiegeln – soweit als möglich – die realistische Situation des Unternehmens wider. Wichtige Ereignisse und Veränderungen kommuniziert das Management schnell und offen. Es gibt nicht den Versuch die Bilanzen in irgendeiner Form zu schönen. Anpassungen der offiziell berichteten Zahlen ermöglichen dem Anleger tatsächlich eine bessere Sicht auf die operativen Geschäfte und dienen keinesfalls der Bilanzkosmetik.
Man könnte meinen, dass all diese Punkte völlig selbstverständlich für jeden Manager sein sollten. Doch häufig genug finden sich im Verhalten des Managements, insbesondere in der Finanzkommunikation, Zeichen für Unehrlichkeit oder die Tendenz zur rosaroten Brille.
Doch woran kann der Analyst oder Anleger erkennen, ob sich die Leitung eines Unternehmens tatsächlich integer verhalten? Die folgenden Indikatoren erscheinen mir dabei als Warnsignale:
Angepasste Berichtszahlen bringen nicht mehr Transparenz sondern beschönigen die Lage. Ein Beispiel ist das Herausrechnen von so genannten Einmalaufwendungen oder auch Restrukturierungsaufwendungen. Tauchen z.B. ähnliche “Einmalaufwendungen” Quartal für Quartal auf ist das ein nicht zu unterschätzendes Warnzeichen. Man mag hier z.B. an die Restaurantklette Vapiano denken, die Quartal für Quartal operative Gewinne kommunizierten, die von angeblich einmaligen Kosten befreit waren und die Lage der Restaurantkette massiv beschönigten. Das ganze endete schliesslich mit dem Abgang des CEOs.
In der Bilanz versteckte Risiken werden (wiederholt) nicht transparent gemacht. Ein Beispiel sind Prozessrisiken, für die keine rechtzeitigen Rückstellungen gebildet wurden oder die nicht deutlich kommuniziert wurden . Aktuell könnte man z.B. an Bayer denken, die vor der Akquisition von Monsanto das juristische Risiko im Hinblick auf Glyphosat nicht klar genug kommuniziert haben. Als die ersten grossen Prozesse (erstinstanzlich) verloren gingen und die Zahl der Kläger auf über 10’000 anstieg, wurden entsprechende Vermerke im Quartalsbericht gemacht.
Alle weiteren, auch versteckte Formen von Bilanzkosmetik sind sehr kritisch zu sehen. Oft genug werden z.B. Umsätze voll in die Bilanz gebucht, die leistungsmässig aber noch nicht voll erbracht wurden. Kalkulatorische Zinsen werden unrealistisch angesetzt, um Liabilities in der Bilanz niedrig zu halten (z.B. für Pensionsverpflichtungen), was dann später zu massiven Abschreibungen auf das Eigenkapital führen kann. Banken schätzen gerne die notleidenden Kredite ihrer Schuldner zu positiv ein und auch hier führen dann plötzliche Abschreiber zu unangenehmen Überraschungen. Die Zahl der Bilanztricks ist Legion und eine abschliessende Aufzählung ist kaum möglich.
Als tiefrotes Ampelsignal sind natürlich staatsanwaltliche Ermittlungen (und auch nur Gerüchte) im Hinblick auf Bilanzfälschungen zu sehen. Der Skandal um den Möbelkonzern Steinhoff zeigt sehr deutlich, dass häufig die Anwesenheit von Rauch auf ein ausgewachsenes Feuer unterm Dach schliessen lassen kann. Sicherlich gibt es Gegenbeispiele und Falschbeschuldigungen. Alles in allem sind aber staatsanwaltliche Ermittlungen ein sehr guter Indikator massiver moralischer Managementprobleme.
Plötzliche und unerwartete Kapitalerhöhungen sind ein weiterer Warnindikator. Plötzlich auftretende Löcher im Eigenkapital, die kurzfristig gestopft werden müssen, sind ein weiteres, ernstzunehmendes Signal.
All die o.g. aufgeführten Punkte sind nicht immer ein Zeichen mangelnder Integrität. Fehler passieren und müssen korrigiert werden. Wenn jedoch bestimmte Muster immer wieder auftreten. Wenn Berichtszahlen und angepasste Zahlen immer wieder auseinanderklaffen. Wenn plötzliche Abschreibungen häufiger auftreten und die Ausreden sich von Quartal zu Quartal ähneln, dann liegt der Verdacht auf mangelnde Integrität nahe.
MOTIVATION des Managements ist die zweite entscheidende Dimension. Dabei geht es, um den Antrieb des Managements sich mit voller Kraft für das Unternehmen einzusetzen. Es ist statistisch belegt, dass Unternehmen, deren Aktienmehrheit in Familienhand ist, eine bessere Performance zeigen. Der direkte Einfluss der Eigentümer auf das Management ist hier stärker. In manchen Fällen sind Familienmitglieder selbst am operativen Management beteiligt. Doch die meisten Unternehmen sind keine Familienunternehmen. Es zeigt sich aber auch hier, dass wenn Schlüsselmitglieder des Managements signifikante Aktienanteile am Unternehmen halten, dies stark zu ihrer Motivation beiträgt. Oftmals finden wir sehr komplexe Gehaltspläne mit entsprechenden Anreizkomponenten in den Boni. Das Problem an fast allen diesen Plänen ist, dass sie nur mittelfristig wirken (bis maximal fünf Jahre, in der Regel drei Jahre). Diese Fristen sind viel zu kurz, um das Management langfristig an den Interessen des Unternehmens auszurichten.
Für Optionspläne gelten ähnliche Einschränkungen. Der wesentliche Nachteil von Optionen ist, dass sie dem Management in der Regel ohne direkte eigene Aufwendungen zugesprochen werden. Ihre Hebelwirkung entfalten sie erst ab einem bestimmten Aktienkurs (über dem festgelegten Ausübungspreis). Sollte also eine Option relativ weit “out of the money” sein, so sinkt die Motivation des Managers stark, der sich am Optionspreis orientiert.
Die beste Motivation ist natürlich die intrinsische, welche nicht monetär funktioniert. Der unternehmerisch denkende Manager, der sich motiviert zeigt, ein Unternehmen langfristig, und nachhaltig profitabel wachsen zu sehen. Leider ist diese Spezies eher selten in der heutigen schnelllebigen Zeit, in der Top-Executives möglichst schnell ihren “Net Value” maximieren möchten und den persönlichen Reichtum in das Zentrum ihres Handelns stellen. Zusammenfassend zeigt sich in meiner Erfahrung, dass eine signifikante und langfristige Beteiligung am Unternehmen über Aktienkapital einer der besten Indikatoren für die Motivation des Managements ist. Wenn diese Beteiligung auch noch über eigene, stetige Einkäufe (und nicht über Zuteilungen) erfolgt, ist dies ein umso besseres Zeichen.
Die letzte grosse Dimension ist die STRATEGISCHE HANDLUNGSFÄHIGKEIT. Es geht dabei darum zu beurteilen, ob das Management in der Lage ist, zeitnah und vorausschauend auf wichtige Entwicklungen im Markt zu reagieren. Diese Dimension ist für den externen Investor am schwierigsten zu beurteilen, da häufig nur qualitative Indikatoren zur Verfügung stehen. Es kommt auch sehr stark auf die Branche an, etwa ob es sich um eine technisch schnell entwickelnde Industrie handelt (z.B. Software) oder eher das Gegenteil der Fall ist. (z.B. Ölindustrie). Wahrscheinlich ist das wichtigste Element hier die Innovationsfähigkeit des Managements. Typische Indikatoren, die hier immer wieder genannt werden, sind z.B. die relative Höhe des R&D Budgets im Vergleich zu den wichtigsten Mitbewerbern, oder die Zahl der Patente, die von einem Unternehmen angemeldet werden. Auch das Vorhandensein von so genannten Inkubatoren oder “Start-up-Spaces” wird gerne als Indikator für Innovationsfähigkeit genommen. Dies kann der Fall sein; oft genug sind diese Indikatoren aber zu ungenau. Was genau versteckt sich in einem R&D Budget? Wie viele der angemeldeten Patente werden tatsächlich zu erfolgreichen Innovationen?
Aus meiner Sicht gibt es für den externen Investor nur ein gute Kriterium für die Innovations- und Handlungsfähigkeit des Managements. Es stellt sich die Frage, ob es dem Unternehmen gelungen ist in regelmässigen Abständen (diese hängen stark von der Branche ab), erfolgreiche neue Produktlinien oder Dienstleistungen am Markt zu etablieren. Eine meiner Faustregeln lautet, dass zu prüfen ist, ob ein Unternehmen in den letzten drei Jahren eine Produktinnovation etablieren konnte, die signifikanten Umsatz erzielt und darüber hinaus operativ profitabel ist. Ein gutes Beispiel ist hier die Firma Apple. Historisch betrachtet ist es Apple immer wieder gelungen, sehr erfolgreich neue Produkte oder ganze Produktlinien (iPhone) zu etablieren. Dies deutet auf eine starke Innovationsfähigkeit hin. Es stellt sich aber aktuell die Frage, ob es dem Management unter Tim Cook gelingt neue Produktinnovationen (Apple Watch, Air Pods, diverse Services) so erfolgreich am Markt zu positionieren, dass damit die stagnierenden bis schrumpfenden Umsätze des sehr profitablen iPhones kompensiert werden können. Diese Frage zu beantworten ist der ultimative Test der strategischen Handlungsfähigkeit für das Apple-Management. Und nicht umsonst zerpflücken zahlreiche Auguren begierig die Absatzzahlen die Quartal für Quartal für die einzelnen Produktkategorien veröffentlicht werden.
Ein weiterer wichtiger Indikator für strategische Handlungsfähigkeit ist der Erfolg im Bereich M&A. Es ist empirisch klar etabliert, dass die meisten Akquisitionen nicht erfolgreich verlaufen. Insofern ist die Qualität des Managements so zu messen, dass Akquisitionen nur dann vorgenommen werden, wenn es einen sehr guten strategischen Grund dafür gibt und die Integration erfolgreich umgesetzt wird. Ein Management, das Akquisitionen nur sparsam oder sehr gezielt einsetzt, ist qualitativ besser als ein Management, das häufig und/oder sehr grosse Akquisitionen vornimmt, die überdies nur schwer zu integrieren sind. Ein Lehrbuchbeispiel für eine schlechte Akquisition ist der Kauf von Chrysler durch Daimler 1998, welcher offiziell als “Zusammenschluss unter gleichen” verkauft wurde. Dieser Firmenkauf und die folgende misslungene Integration zeigt sehr gut, welchen Fehleinschätzungen Jürgen Schrempp und sein Team unterlagen. Nur neun Jahre später wurde Chrysler an den Finanzinvestor Cerberus verkauft und musste schliesslich in der Finanzkrise 2009 Konkurs anmelden.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Integrität, Motivation und strategische Handlungsfähigkeit die zentralen Dimensionen für den externen Investor sind, die es zu beurteilen gilt. Ein Mix aus qualitativen und quantitativen Indikatoren kann genutzt werden, um Licht ins Dunkel dieses nicht einfach zu analysierenden Bereichs zu bringen. Dabei sind die Ehrlichkeit und Transparenz bei der Bilanzierung, das Halten von signifikanten Anteilen am Unternehmen und die erfolgreiche Etablierung von innovativen neuen Produktlinien sowie eine konservative Akquisitionspolitik die besten Indikatoren, um die Qualität des Managements zu beurteilen. Sicherlich gibt es spezielle Fälle, so z.B. Restrukturierungssituationen, wo das Management noch andere Qualitäten aufweisen muss. Dies kann an dieser Stelle nicht im einzelnen vertieft werden.
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