Der Begriff "Qualität" ist nicht klar definiert, genauso wenig, wie die "Qualitätsaktie". Im Gegensatz zu Wachstumsaktien oder Valueaktien gibt es wenig Einigkeit, was denn nun einen Qualitätswert an der Börse ausmacht. Oft wird darunter eine Mischung aus guten finanziellen Kennzahlen, gutem Management und vorteilhaften externen Bedingungen, wie zum Beispiel Wachstumsmärkte, verstanden. Für mich gibt es eine ganz klare und einfache Definition für Qualitätsaktien: Es sind solche Unternehmen, die über sehr lange Perioden an der Börse eine klar überdurchschnittliche Performance zeigen. Mit "sehr lange Perioden" meine ich dabei Zeiträume, die jenseits von 20 Jahren liegen. Mit "überdurchschnittlich" sind dabei Renditen gemeint, die mindestens (im jährlichen Durchschnitt) 3% über dem Wert des Vergleichsindex liegen.
Das bedeutet natürlich nicht, dass diese Aktien jederzeit und immer zu den besten Performern gehören. Bei Betrachtungszeiträumen von 20, 30 oder mehr Jahren, gibt es auch Perioden mit schlechter Performance. Qualität heißt nicht, dass der Markt jederzeit diese Qualität reflektieren muss. Wie aber schon Warren Buffett gesagt hat: Kurzfristig ist der Markt eine Abstimmungsmaschine, aber langfristig eine Waage. Unternehmen, die von ihrer Qualität für zu leicht befunden werden, bekommen ihre Quittung und der Kurs leidet langfristig. Unternehmen von guter Qualität zeigen sich langfristig an der Börse (fast) immer erfolgreich. Auch wenn der Anleger manchmal Jahre auf den Erfolg warten muss.
Eine Analyse des deutschen Aktienmarktes zeigt beispielhaft, welche Unternehmen zu den Qualitätsaktien gehören und welche am unteren Ende der Rangliste liegen:
Top-5-Performer im deutschen Aktienmarkt (DAX/MDAX) 1990-2020
Schlechteste Performer im deutschen Aktienmarkt (DAX/MDAX) 1990-2020
Doch die Aktienrendite wird nicht gleichmäßig erzielt. Oft folgt die Rendite einem volatilen Muster und kommt in Schüben, die wiederum von längeren Perioden der Stagnation unterbrochen sein können. Dies spiegelt teilweise die allgemeinen Marktschwankungen wider, aber sie reflektiert auch die ungleichmässige Entwicklung der Absatzmärkte wie auch der Geschäftstätigkeit eines Unternehmens. Ein dritter Faktor ist auch die Frage, durch welche Brille die Börsenteilnehmer ein Unternehmen betrachten, was durchaus sehr unterschiedlich sein kann.
Ein Beispiel ist die SAP. In der Dekade von 1990-1999 konnte sie um über 4.000% zulegen, doch die folgende Dekade (2000-2009) war von einer negativen Rendite mit -11% geprägt. Von 2010 bis 2020 konnte das Softwareunternehmen wieder deutlich ins Plus drehen und mit über 230% Rendite ein gutes Ergebnis abliefern.
Dieses Beispiel zeigt, wie das Sentiment die Börse auch über Jahre prägen kann. In den Jahren vor 2000 standen Technologieaktien hoch im Kurs und die Börsenteilnehmer hatten eine tiefrosa gefärbte Brille auf der Nase, doch in den zehn Jahren nach dem Crash der Internetblase war die Stimmung gegenüber den Wachstumswerten sehr eingetrübt. Danach zeigte sich dann eine ausgewogenere Betrachtungsweise und die SAP konnte wieder stark anziehen. Über all die Jahre wies die SAP eine relativ gleichmäßige Geschäftstätigkeit auf, die natürlich hie und da von Schwankungen geprägt war, aber insgesamt erzielte das Unternehmen ein sehr stetiges profitables Wachstum.
Die langfristige Aktienrendite spiegelt also - oft mit Verzögerung oder mit allgemeinen Schwankungen des Marktes - die Qualität des Geschäfts eines Unternehmens wider. Qualitätsaktien sind demnach im Kern Qualitätsunternehmen. Man kann zwar rückblickend feststellen, welche Aktien Qualität haben. Aber kann man diese auch vorausblickend erkennen?
In ihrem Buch "Quality Investing: Owning the Best Companies for the Long Term" beschreiben die Autoren Lawrence Cunningham and Torrkel Eide, was erfolgreiche Qualitätsunternehmen ausmacht:
Aus unserer Sicht gibt es drei Charakteristika, die auf Qualität hinweisen. Dies ist eine starke, vorhersehbare Generierung von Cash; nachhaltige Renditen auf das Kapital; und attraktive Wachstumschancen. Jede dieser Finanzmerkmale ist für sich betrachtet attraktiv, aber in Kombination wirken sie besonders ausgeprägt und ermöglichen einen positiven Kreislauf von Cash-Generierung, welches mit einer hohen Rendite reinvestiert werden kann, neue Mittel erzeugt, die wiederum investiert werden usw.
Doch auch diese Antwort hilft uns nicht unbedingt weiter. Qualität heißt Wachstum, heißt Profitabilität (auf der Ebene von Cash, also nicht nur Papiergewinnen), heißt Reinvestition der Gewinne, was weiteres und langfristiges profitables Wachstum ermöglicht. Doch man fragt sich: Wie kommt es zu Profitabilität? Wie kommt es zu Wachstum und langfristigem weiteren Wachstumsmöglichkeiten? Wie erkennt man Firmen, die solche Merkmale heute und -viel wichtiger - auch in den nächsten 10, 20, 30 Jahren aufweisen?
In meinem aktuellen Buch Professionelle Anlagestrategien für die Börse: Langfristige Analyse und Erfolgsfaktoren des Aktienmarkts habe ich versucht, genau diese Fragen zu beantworten. Mittels statistischer Analysen und qualitativer Fallstudien ist es möglich herauszufinden, welche Faktoren den langfristigen Top-Performern gemeinsam sind. Ohne hier in die Details und Feinheiten dieser Analysen einzusteigen, zeigen sich im wesentlichen die folgenden Merkmale als entscheidend:
Die Firmen weisen eine unternehmerisch orientierte Führung auf, was sich oftmals daran zeigt, dass ein oder mehrere Ankeraktionäre einen relevanten Anteil am Unternehmen halten. Dies kann ein Gründer sein, eine Familie (Nachfolger des Gründers) oder Manager, die sich relevant am Unternehmen beteiligt haben.
Die Firmen können langfristig in einem wachsenden Markt agieren, zumindest aber nicht in einem stagnierenden oder schrumpfenden Markt.Idealerweise haben die Firmen diesen Markt selbst geschaffen oder können ihn zumindest kontrollieren (Marktführer).
Die Unternehmen unterliegen keinen strengen regulatorischen Vorschriften, die Wachstum oder Profitabilität behindern.
Die Firmen weisen langfristig und konsistent eine hohe Profitabilität auf, welche es ihnen erlaubt die Gewinne (oder den Cash Flow) auf überdurchschnittlich rentable Weise ins eigene Geschäft zu reinvestieren.
Dazu kommen noch eine Reihe von Faktoren, die einen signifikanten, aber schwächeren Einfluss zeigen: Starke Position des Aufsichtsrates, Zugehörigkeit zu gewissen Branchen, Größe des Unternehmens (kleine und mittlere haben leichte Vorteile).
Interessanterweise gibt es auch eine Reihe von Faktoren, die keine oder nur geringe Korrelation mit der langfristig überdurchschnittlichen Performance aufweisen. Dazu gehören z. B. die Dividendenrendite, die Zahl der CEO-Wechsel oder die Zahl der ethischen Skandale, in die ein Unternehmen verwickelt war. Auch die Zahl der Akquisitionen weist weder einen positiven noch einen negativen Zusammenhang auf. All diese Faktoren werden aber landläufig mehr oder minder mit der Qualität eines börsennotierten Unternehmens in Verbindung gebracht.
Zusammenfassend kann man sagen: Externe und interne Faktoren spielen bei der Entstehung von Qualitätsaktien eine wichtige Rolle. Beide Seiten stellen eine notwendige Bedingung für langfristigen Börsenerfolg dar. Der herausstechende Faktor ist dabei allerdings die Führung durch einen Ankeraktionär. Dieses Merkmal weist den stärksten statistischen Zusammenhang auf. Das ist natürlich in erster Linie eine Korrelation und nicht notwendigerweise steckt immer eine Kausalität dahinter. Nicht jedes börsennotierte Unternehmen, das zu relevanten Teilen in der Hand eines Gründers oder einer Unternehmerfamilie ist, wird langfristig Erfolg haben. Doch die Chancen stehen besser als beim Gros der Unternehmen, die sich im anonymen Streubesitz befinden.
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