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Wie schlimm sind Übergewinne?

In den letzten Wochen fordern Politiker und Journalisten immer wieder, dass die Übergewinne von Energiekonzernen "abgeschöpft" werden müssten. So schreibt die "Augsburger Allgemeine" stellvertretend für viele andere Kommentare:

Es ist egal, ob der Tankrabatt vollständig oder etwas weniger vollständig an Kunden weitergegeben wurde. Übergewinne müssen europaweit abgeschöpft werden. Aus Gerechtigkeitsgründen. Stefan Küpper in der Augsburger Allgemeinen vom 1. 9. 2022

Es bleibt aber fast immer unklar, was eigentlich ein solcher Übergewinn sein soll. Meistens scheint damit gemeint zu sein, dass ein Energiekonzern oder ein Ölmulti derzeit höhere Gewinne macht als früher, da die Preise für Öl, Gas oder Strom stark angestiegen sind. Der Maßstab bleibt aber vielfach im Dunkeln. Denn es stellt sich natürlich die Frage: Wann ist ein Gewinn ein Übergewinn? Gibt es dafür eine einfache Regel? Entscheidet dies die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen oder gar der Chefredakteur der Bild-Zeitung?


Vielfach hört man, dass Gewinne dann Übergewinne sind, wenn sie das Gerechtigkeitsempfinden des Volkes stören: "Was gerecht ist und was nicht, dafür haben viele Menschen intuitiv ein feines Gespür", so Stefan Küpper in dem oben zitierten Artikel der Augsburger Allgemeinen. Andere schreiben von "leistungslosen Gewinnnen", die es gelte mit besonders hohen Steuern staatlicherseits einzuziehen.

Gerechtigkeitsgefühl und Leistungslosigkeit sind keine ökonomischen Kategorien. Um aber den Übergewinn richtig einordnen zu können, muss er ökonomisch und nicht gefühlsmäßig betrachtet werden. Grundsätzlich ist der Unternehmensgewinn der Überschuss, den ein Unternehmen erzielt und zwar nach Abzug aller Aufwendungen, inklusive Zinsen und Steuern. Grundsätzlich ist es aber so, dass sich ein Unternehmen immer aus zwei Quellen finanzieren kann: Dies sind Fremdkapital (z. B. Bankkredite) oder Eigenkapital (z. B. durch die Ausgabe von Aktien an der Börse). Im Unternehmensgewinn sind nun die Kosten für das Fremdkapital bereits berücksichtigt. Zu den Finanzierungskosten gehören insbesondere die Zinszahlungen für Bankkredite, ausgegebene Schuldpapiere usw. Doch die Kosten für das Eigenkapital sind nicht berücksichtigt. Denn die Eigenkapitalgeber (Aktionäre, Gesellschafter) erwarten natürlich von einem Unternehmen, dass es sie für das Eigenkapital und des damit verbundenen Verlustrisikos auch kompensiert. Aus dem Gewinn wird daher häufig, aber nicht immer, eine Dividende an die Aktionäre ausgeschüttet. Meist handelt es sich dabei nur um einen Bruchteil des erzielten Gewinns und der Rest fließt als Investition zurück in das Unternehmen. Eine weitere Möglichkeit besteht im Rückkauf der eigenen Aktien, was im Ergebnis der Zahlung einer Dividende gleichkommt.


Für den Eigenkapitalgeber entscheidend ist nicht die Höhe der Dividende, sondern die Höhe der Eigenkapitalverzinsung. Diese berechnet sich ganz simpel als der Unternehmensgewinn dividiert durch das Eigenkapital eines Unternehmens1. Liegt diese Rendite nun über der erwarteten Rendite des Eigenkapitalgebers, dann spricht man ökonomisch von einem Übergewinn. Liegt die Rendite unter der erwarteten Verzinsung des Eigenkapitals, könnte man von einer Unterrendite sprechen. Die erwartete Eigenkapitalrendite hängt von verschiedenen Faktoren ab. Der wichtigste ist sicherlich das Risiko, welches mit einem Investment in ein Unternehmen verbunden ist. Manche Unternehmen sind dabei risikoreicher, andere werden eher als stabil und risikoarm betrachtet. Die Einschätzung des Risikos kann auch von Investor zu Investor unterschiedlich sein. Ein anderer Faktor ist das allgemeine Zinsniveau, insbesondere der risikolose Zinssatz. Über den Daumen gepeilt liegt für börsennotierte Unternehmen die erforderliche Mindestverzinsung des Eigenkapitals irgendwo zwischen 6% und 12%. Dies entspricht im übrigen auch ungefähr der durchschnittlichen Aktienrendite, wenn man an der Börse langfristig in einen breiten Index an Aktien investiert.


Schauen wir uns einmal die Eigenkapitalverzinsung des Ölkonzerns Shell an:



Wenn man den Durchschnitt über die 5,5 Jahre berechnet, liegt die Eigenkapitalrendite von Shell bei 7,4%. Angesichts des Risikos, welches mit der Öl- und Gasproduktion heutzutage verbunden ist, würde ich davon ausgehen, dass diese Verzinsung für die meisten Aktionäre nicht allzu befriedigend ist. Allerdings erkennt man, dass 2022 tatsächlich ein außergewöhnlich hoher Gewinn erzielt wurde. Dafür fiel im Jahr 2020 ein satter Verlust von über 20 Milliarden an. Schon diese starken Schwankungen bei der Gewinnentwicklung deuten auf eine hohe Risikohaftigkeit des Investments bei Shell hin. Ein Übergewinn ist in den letzten 5,5 Jahren aus ökonomischer Sicht jedenfalls nicht erzielt worden. Wahrscheinlich kam eher ein leichter Untergewinn zustande und damit eine Zerstörung von Wert aus Sicht der Shell-Aktionäre.


Warum ist dies so? Einfach gesagt, verringert sich der innere Wert eines Unternehmens, wenn die Eigenkapitalgeber ihre Kapitalkosten nicht decken können. Ein solches Unternehmen wird über kurz oder lang nicht mehr in der Lage sein, neues Kapital am Kapitalmarkt aufzunehmen. Wachstum und Überleben eines solchen Unternehmens sind daher langfristig in Gefahr.


Doch nehmen wir einmal an, dass Shell zukünftig tatsächlich über längere Zeit hohe Gewinne erzielen kann. Was bedeutet dies? Der innere Wert des Unternehmens steigt, wahrscheinlich steigt auch der Marktwert an der Börse, die eigenen Gewinne können in attraktive Projekte reinvestiert werden und dem Unternehmen wird es leicht fallen frisches Kapital am Kapitalmarkt anzuziehen. Kurz und gut: Das Unternehmen wächst profitabel, kann investieren und viele neue Projekte anstoßen. Neue Projekte bedeuten Innovation, denn das Unternehmen ist immer auf der Suche nach attraktiven Investmentgelegenheiten. Dazu gehört sicherlich auch die Entwicklung von alternativen Energien wie Solarenergie, Windenergie oder die Wasserstofftechnik. Natürlich wird der Erfolg über kurz oder lang auch neue Mitbewerber anziehen, die in den Markt einsteigen und durch einen intensivierten Wettbewerb die hohe Profitabilität von Shell gefährden können. Nur der Vorsprung an Innovationskraft kann Shell in diesem Stadium davor bewahren, seine überdurchschnittliche Profitabilität an Wettbewerber zu verlieren. Dieser Zyklus des Investierens und Reinvestierens ist die Wurzel allen Fortschritts. Ohne das Vorhandensein von Übergewinnen gibt es keinen Fortschritt. Oder anders formuliert: Unternehmen mit Untergewinnen tragen nichts zum Kapitalstock unserer Gesellschaft bei. Im Gegenteil: Sie sind die Ursache für Stagnation und mangelnde Innovation.


Die Abschöpfung dieser (fiktiven) Übergewinne führt also zu einer Verringerung des produktiven Kapitalstocks der Firma Shell, zu einem Rückgang von Investitionen und Innovation in potenziell nützliche neue Energieformen und damit zu einer Reduktion der Wohlfahrt in unserer Gesellschaft. Häufig wird gegen dieses Argument angeführt, dass der Staat durch die Umverteilung der Gewinne von Shell andere, gesellschaftlich sinnvolle Dinge unterstützt. In diesem Fall ist es ja der Plan der Politik, die abgeschöpften Gewinne, den Konsumenten zugutekommen zu lassen, die unter den hohen Energiepreisen leiden. Wie man leicht sehen kann, führt dies zu einer Umverteilung der Ressourcen von der Produktion zum Konsum. Dies bedeutet, dass weniger investiert wird, weniger produziert wird und letztendlich weniger Innovation stattfinden wird. Übergewinne sind also nichts Schlechtes. Im Gegenteil: Übergewinne sind der Treibstoff des Fortschritts in einer Marktwirtschaft. Gleichzeitig trägt aber jeder Übergewinn schon seine eigene Eliminierung in sich, da Übergewinne fast immer auch neue Wettbewerber auf den Plan rufen. Die einzige Ausnahme sind Übergewinne, die aufgrund eines Monopols erzielt werden können.


_______________________________________________________________________ (1) Es sei hier angemerkt, dass es unterschiedliche Methoden gibt, die Kapitalrendite und die erwartete Verzinsung zu berechnen. Vielfach wird auch auf den Cashflow abgehoben, da dieser u.a. weniger einfach zu manipulieren ist als die Gewinne. Der Einfachheit halber bleiben wir bei den Gewinnen und dem Eigenkapital wie in der Bilanz ausgewiesen.

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