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Zehn Lernpunkte aus zwei Crashs

Es war circa 1996, als ich mein erstes Depot bei der damaligen Direktanlagebank eröffnet habe. Ich hatte keine Ahnung von Aktien, aber dafür umso mehr Begeisterung für das damals brandneue Internet und den Neuen Markt. Über die nächsten Jahre investierte ich rund 50 Tausend Mark in verschiedene Techwerte. Bis Mitte des Jahres 2000 stieg der Portfoliowert auf 300 Tausend Mark. Im Herbst 2000 und den folgenden Monaten hatte ich beruflich sehr viel Stress, so schaute ich erst wieder irgendwann Ende des Jahres 2001 in mein Depot. Meine Aktien standen wieder bei 50 Tausend. Ich war schockiert. Es war kein wirklicher Verlust entstanden, aber ich schwor mir (einige Zeit später), mich fundierter mit dem Thema Aktien auseinanderzusetzen. Mein erstes Buch war “The Intelligent Investor” von Ben Graham…

Im Jahre 2008/2009 war dann die nächste Krise fällig: Bankbilanzen schmolzen dahin wie Butter in der Sonne. Insbesondere einige meiner Investments in der Finanzbranche, die ich aufgrund optisch niedriger Kurse für besonders schlau gehalten hatte, implodierten recht schnell. Aber insgesamt gelang es mir, mein Vorgehen relativ konsistent und stabil zu halten. Was man in solchen Situationen immer unterschätzt, ist das tagtägliche Bombardement mit schlechten Nachrichten, dem man sich praktisch nicht entziehen kann. Selbst hartgesottene Profis fangen an, irrational zu werden und die immer negativeren Prognosen übertreffen einander jeden Tag. Wenn man sich nicht gerade völlig von der Welt isolieren kann und will, ist es eine Frage der mentalen Widerstandskraft, hier nicht selbst einzubrechen und die gewählte Strategie über den Haufen zu werfen.

Zwischen 2000 und 2003 fiel der DAX um über 70%. In der Krise 2008/09 war es ein Minus von deutlich über 50%. Beide Krisen waren schwierige, aber auch lehrreiche Erfahrungen für mich als Investor. Was sind meine wichtigsten Lernpunkte daraus?

  1. Im Falle einer Börsenkrise kippt die Stimmung selten graduell, sondern plötzlich und radikal. Optimisten werden über Nacht zu Bären. Finanzanalysten, die noch vor einer Woche ein Unternehmen in den Himmel gelobt haben und einen KGV von 50 für rechtfertigbar hielten, werden über Nacht zu Berufspessimisten. Man sollte solchen Leuten keinerlei Glaubwürdigkeit zubilligen.

  2. Der Ticker wirkt wie eine Droge. Man kann die Augen nicht mehr von den Charts und Börsentickern nehmen, ohne innerhalb von Minuten Entzugsgefühle zu verspüren. Nur eine gezielte Drogenentwöhnung schafft hier Abhilfe.

  3. Marktprognosen sind völlig sinnlos. Der DAX wird auf 6000, 5000, 4000 Punkte sinken. Alles ist im Angebot. Es wird einen Kursverlauf in Form eines V, U oder einer EKG-Kurve geben. Jede vorstellbare Form wird von den Prognostikern beschworen. Natürlich gibt es immer Auguren, die ex-post recht behalten. Keiner hat jedoch ex-ante eine Ahnung. In einer Krise gilt mehr noch als in ruhigen Zeiten: Aktienkurse sind ein “random walk” (Burton G. Malkiel).

  4. Niemand interessiert sich mehr für den langfristigen inneren Wert eines Unternehmens. Fast alle Bewertungen (sofern überhaupt noch so etwas wie eine Analyse vorgenommen wird) erfolgen unter der Massgabe der Meldungen des Tages.

  5. Man kann den Tiefpunkt nicht erkennen. Alle Faustregeln und technischen Methoden funktionieren wunderbar, aber leider nur im Rückblick. Im Augenblick des erreichten Tiefpunkts fühlt sich dieser an, als ob noch 50% Luft nach unten ist.

  6. Absicherungsgeschäfte sind schwierig und erfordern eine Vielzahl von Annahmen über Marktentwicklungen. Sinnvoll ist eine Absicherung möglicherweise dann, wenn man diese (z.B. Puts) rechtzeitig gekauft hat, bevor die hohe Volatilität die Kosten dafür explodieren lässt. Man kann dann mit kleinem Einsatz für eine begrenzte Zeit ein Portfolio (teilweise) absichern.

  7. Cash is the real King. Die einzig funktionierende Absicherung ist ein gutes Polster an Barmitteln, welche in einer Krise eingesetzt werden können. Wer über genügend Mittel verfügt, um sein Portfolio nach einiger Zeit wieder zu re-balancieren, also die strategischen Gewichtungen für bestimmte Anlageklassen  entsprechend der eigenen Strategie wieder herzustellen, hat gewonnen. Nach einiger Zeit heisst hier, dass man nicht unbedingt ein Jahr warten muss, aber auch nicht wöchentlich ein Re-balancing vornehmen sollte.

  8. Eine dauernd aktualisierte Kaufliste ist essenziell. Darauf stehen Unternehmen, die deutlich unter ihrem inneren Wert notieren. Je nach Sicherheitsbedürfnis kann man dann kurzfristig zugreifen oder abwarten, ob sich neue Tiefstände einstellen. Für mich ist das immer wie als Kind an Weihnachten: Plötzlich kann man sich Dinge leisten oder wünschen, von denen man kurz vorher nur geträumt hat.

  9. Lesen und Austausch ist kritisch. Auch wenn man in einer Krise den Eindruck bekommt, dass man von einer Flut an News und Infromationen erstickt wird, so ist es unerlässlich, sich mit einem Kreis von Gleichgesinnten zu umgeben, mit denen man kritisch und sachlich diskutieren kann. Blogs oder andere Quellen, die nicht den üblichen Strom an News verbreiten, sind gut geeignet, die eigene Perspektive immer wieder kritisch zu hinterfragen. Meine Faustregel lautet, dass ich ungefähr fünf solcher Quellen mehr oder weniger täglich lese.

  10. Last but not least: Es gibt eine Welt ausserhalb von Börse und Aktien. Man sollte auch in krisenhaften Situationen Grenzen ziehen. Zeit und Aufmerksamkeit benötigen auch andere Dinge im Leben. Gleichzeitig hilft der Abstand zum Geschehen auch bei der sachlichen Beurteilung der Lage.

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